Entscheidungsstichwort (Thema)

Beschlussanfechtungsklage wegen Fehlerhaftigkeit einer Entsprechenserklärung gemäß § 161 AktG

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Begriff der Unabhängigkeit in Nr. 5.4.2. Satz 1 DCGK ist unbestimmt; deswegen konnte im Streitfall der für eine erfolgreiche Beschlussanfechtung erforderliche eindeutige Gesetzes- oder Satzungsverstoß, der vom Anfechtungskläger insbesondere in fehlender Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern und deswegen fehlerhafter Entsprechenserklärung gesehen wurde, nicht festgestellt werden.

2. Ist eine Entsprechenserklärung gemäß § 161 AktG fehlerhaft, ist die Schwelle zu einem die Anfechtung eines Entlastungsbeschlusses tragenden schwerwiegenden Gesetzesverstoß regelmäßig erst dann erreicht, wenn die Unrichtigkeit der Erklärung einen nicht unwesentlichen Punkt betrifft und aus dem Fehler ein Informationsdefizit der abstimmenden Aktionäre resultiert, das sich auf den Entlastungsbeschluss auswirkt (Anschluss an BGH, Beschluss vom 14. Mai 2013 - II ZR 196/12 -, juris; BGH, Urteil vom 10. Juli 2012 - II ZR 48/11 -, BGHZ 194, 14, juris Rn. 28; BGH, Urteil vom 21. September 2009 - II ZR 174/08 -, BGHZ 182, 272, juris Rn. 18).

3. Ein solches sich im Entlastungsbeschluss niederschlagendes Informationsdefizit ist dann nicht gegeben, wenn die abstimmenden Aktionäre alle relevanten, aber in der Entsprechenserklärung nicht angeführten Informationen anderweitig aus allgemeinen Quellen erlangen können (Anschluss an BGH, Urteil vom 21. September 2009 - II ZR 174/08 -, BGHZ 182, 272, juris Rn. 18).

 

Normenkette

AktG §§ 161, 243

 

Verfahrensgang

LG Hannover (Urteil vom 14.09.2017; Aktenzeichen 21 O 24/16)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers zu 1) gegen das am 14. September 2017 verkündete Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Hannover wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger zu 1) hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist (wegen der Kosten) ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger zu 1) darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des insgesamt vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten - soweit im Berufungsverfahren noch von Interesse - um die Wirksamkeit von Beschlüssen der Hauptversammlung der Beklagten vom 22. Juni 2016 betreffend die Wahl von vier Aufsichtsratsmitgliedern und die Entlastung der Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat für das Geschäftsjahr 2015. Das Landgericht hat die allein in die Berufungsinstanz gelangte Klage des Klägers zu 1) (im Folgenden: Kläger), der sich nahezu ausschließlich auf vermeintliche Verstöße gegen Nr. 5.4.2 des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) stützt, abgewiesen. Dem liegt Folgendes zugrunde:

Am 22. Juni 2016 fand die 56. ordentliche Hauptversammlung der Beklagten statt, an welcher der Kläger als Aktionär teilnahm. Unter den Tagesordnungspunkten 3 und 4 wurde über die Entlastung der Mitglieder von Vorstand bzw. Aufsichtsrat der Beklagten für das Geschäftsjahr (gemäß § 26 Abs. 1 der Satzung der Beklagten [Anlage B1 im Anl.-Bd. B I] das Kalenderjahr) 2015 abgestimmt, die jeweils mit großer Mehrheit erteilt wurde (vgl. Niederschrift des Notars Dr. H., Anlage K 10 im Anl.-Bd. K I, dort S. 26 ff., 36 ff.). Unter Tagesordnungspunkt 5 wurden die der Hauptversammlung durch den Aufsichtsrat zur Wahl vorgeschlagenen Dr. A., F., Dr. K. und P. jeweils mit großer Mehrheit zu Mitgliedern des Aufsichtsrats gewählt (Anlage K 10 im Anl.-Bd. K I, dort S. 40).

Der Kläger meint, die Wahlbeschlüsse seien nichtig oder zumindest anfechtbar, weil die Entsprechenserklärung gemäß § 161 AktG, die Vorstand und Aufsichtsrat der Beklagten am 20. November 2015 (mit Ergänzungen vom 14. März 2016 und 22. April 2016) abgegeben hatten (Anlagenkonvolut K7 im Anl.-Bd. K I), fehlerhaft gewesen und nicht zumindest zeitgleich mit den der Hauptversammlung unterbreiteten Wahlvorschlägen korrigiert worden sei. In dieser Erklärung und ihren Ergänzungen seien keine Abweichungen von Nr. 5.4.2 des Deutschen Corporate Governance Kodex in dessen Fassung vom 5. Mai 2015 (im Folgenden nur: DCGK), wonach dem Aufsichtsrat "eine nach seiner Einschätzung angemessene Anzahl unabhängiger Mitglieder angehören" soll, deklariert worden, obwohl dieser Vorgabe nicht entsprochen worden sei.

Dazu behauptet der Kläger, der Aufsichtsrat der Beklagten habe zum Zeitpunkt der Hauptversammlung am 22. Juni 2016 nicht die von der Beklagten in ihrem im Geschäftsbericht 2015 enthaltenen Corporate-Governance-Bericht (Anlage B8 im Anl.-Bd. B I, dort S. 63) selbst für erforderlich erachtete Anzahl von vier im Sinne der Nr. 5.4.2 DCGK unabhängigen Aufsichtsratsmitgliedern auf Anteilseignerseite aufgewiesen. Die dem Aufsichtsrat angehörenden Mitglieder der Familien Y. und P. könnten nicht als unabhängig angesehen werden, weil eben diese Familien Inhaber der Mehr...

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