Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftungsverteilung zwischen Eisenbahninfrastrukturunternehmen und Eisenbahnverkehrsunternehmen bei Verletzung der Verkehrssicherungspflicht seitens des Eisen-bahninfrastrukturunternehmen; Vorhaltekosten als Teil des Schadens

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Verkehrssicherungspflicht des Eisenbahninfrastrukturunternehmens kann sich auf einen an der Bahntrasse stehenden, potentiell gefährlichen Baum erstrecken, auch wenn sich der Baum auf einem Privatgrundstück befindet.

2. Im Rahmen der Abwägung nach § 13 Abs. 2, 1 HPflG kann es gerechtfertigt sein, die Betriebsgefahr der verunfallten Lokomotive hinter einer erheblichen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht seitens des Eisenbahninfrastrukturunternehmens vollständig zurücktreten zu lassen.

3. Verfügt der Geschädigte über ein Reservefahrzeug und kann er den Verlust durch Rückgriff auf diese Betriebsreserve auffangen, kann er in der Regel die Vorhaltekosten des Reservefahrzeugs als Schadensersatz ersetzt verlangen (BGH, Urteil vom 06. Dezember 2018 - VII ZR 285/17 -, BGHZ 220, 270-280, Rn. 15, ju-ris). Vorhaltekosten eines Reservefahrzeugs sind allerdings nur insoweit erstattungsfähig, als ihr prozentualer Anteil auf fremdverschuldete Unfälle betroffen ist.

 

Normenkette

HaftpflG §§ 1, 13; ZPO § 287

 

Verfahrensgang

LG Hannover (Urteil vom 22.11.2019; Aktenzeichen 17 O 330/17)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 22. November 2019 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 17. Zivilkammer des Landgerichts Hannover - 17 O 330/17 - unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen insofern teilweise abgeändert, als Zinsen lediglich in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04. Januar 2014 zu zahlen sind.

Die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der Kosten der Streitverkündeten hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, sofern nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 21.934,41 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Klägerin, ein Eisenbahnverkehrsunternehmen, macht gegen das beklagte Eisenbahninfrastrukturunternehmen Schadensersatzansprüche aus der Kollision einer von ihr geleasten Loks mit einem auf der Strecke liegenden Baum geltend.

Am 31.07.2013 kollidierte die von dem Zeugen H. geführte Lok der Klägerin mit einem während eines Gewitters vom Grundstück der Streitverkündeten umgestürzten Baum. Die Klägerin begehrte vorprozessual die Zahlung von Schadensersatz in Höhe von insgesamt 32.933,24 EUR netto, welcher sich aus Reparaturkosten in Höhe von 10.270 EUR, unfallbedingten Zu- und Rückführungskosten der Lok zur Werkstatt in Höhe von 3.695,65 EUR und 2.517,59 EUR sowie Vorhaltekosten in Höhe von 16.450 EUR zusammensetzt. Die Beklagte zahlte einen Betrag von 10.988,83 EUR auf die Reparaturkosten sowie die Zu- und Rückführungskosten und lehnte eine weitere Zahlung ab.

In dem vor dem Landgericht Hagen zum Aktenzeichen 9 O 199/15 geführten Rechtsstreit nahm die Beklagte den Grundstückseigentümer (bzw. dessen Rechtsnachfolger) und hiesige Streitverkündete in Anspruch. Die in jenem Verfahren eingeholten Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. B. vom 29. Juni 2017

(Bl. 294 - 319 d. A.) und vom 18. November 2017 (Bl. 320 - 332 d. A.) sowie das Zusatzgutachten von Dipl.-Forstwirt Dr. L. vom 30. Mai 2017 (Bl. 333 - 341 d. A.) führen u. a. die fehlende Standfestigkeit des umgestürzten Baumes auf den Befall mit Zunderschwamm und Weißfäule zurück.

Die Klägerin hat insbesondere behauptet, der Schaden sei allein durch die mangelhafte Pflege der an die Gleisanlage grenzenden Vegetation durch die Beklagte verursacht worden. Überdies hätte die Beklagte, nachdem ihr eine Störung der Oberleitung bekannt geworden sei, die Strecke prüfen müssen. Der Klägerin sei daher keine Betriebsgefahr anzurechnen. Die Klägerin habe für das Jahr 2013 eine Ersatzlok bei der A. GmbH angemietet, um ausfallbedingte Vermögensschäden zu vermeiden. Hierfür seien ihr im Reparaturzeitraum vom 31.07.2013 bis 19.09.2013 Kosten in Höhe von 329 EUR/Tag, mithin insgesamt 16.450 EUR, entstanden.

Die Beklagte hat die Aktivlegitimation der Klägerin in Abrede genommen und die Einrede der Verjährung erhoben. Zum Haftungsgrund hat sie ausgeführt, der Lokführer sei nicht mit angepasster Geschwindigkeit gefahren, und der auf dem Privatgrundstück stehende Baum sei nicht erkennbar geschädigt gewesen. Daher müsse sich die Klägerin im Rahmen der Abwägung nach §§ 1, 13 HPflG eine Betriebsgefahr von 1/3 anrechnen lassen. Ausweislich der Ausführungen ihres Privatgutachters J. seien weder die Überführungskosten, noch die Vorhaltekosten nachvollziehbar dargelegt. Insbesondere sei für die Reparaturdauer, die Hin- und Rückführung eingeschlossen, e...

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