Leitsatz (amtlich)

Der Vergütungsanspruch des beigeordneten Rechtsanwalts, der neben der mittellosen Partei auch einen leistungsstarken Streitgenossen in derselben Angelegenheit vertritt, ist nicht auf den Mehrvertretungszuschlag beschränkt, sondern umfasst die vollen, durch die Vertretung der bedürftigen Partei nach § 123 BRAGO ausgelösten Anwaltsgebühren.

 

Verfahrensgang

LG Hildesheim (Beschluss vom 28.07.2006; Aktenzeichen 4 O 118/02)

 

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Der Beschluss des LG Hildesheim vom 3.5.2005 wird dahin abgeändert, dass die dem beigeordneten Rechtsanwalt T. aus der Landeskasse zu erstattende Vergütung auf 1.383,88 EUR festgesetzt wird.

Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei, außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet.

 

Gründe

I. Das LG hat dem Beklagten zu 1 am 20.8.2002 mit Rückwirkung zum 14.8.2002 Prozesskostenhilfe bewilligt und ihm Rechtsanwalt T. beigeordnet. Zu diesem Zeitpunkt war die Klage auch gegen die Beklagte zu 2) rechtshängig, die seinerzeit ebenfalls von Rechtsanwalt T. vertreten wurde. Der Beklagte zu 1) ist zwischenzeitlich verstorben. Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen.

Der Urkundsbeamte des LG hat die Festsetzung der von Rechtsanwalt T. mit Schreiben vom 27.1.2005 angemeldeten 10/10 Gebühren i.H.v. 1.383,88 EUR abgelehnt und die dem Prozessbevollmächtigten aus der Landeskasse zustehende Vergütung auf die 3/10 Erhöhungsgebühr gem. § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO i.H.v. 159,27 EUR beschränkt. Die dagegen gerichtete Erinnerung hat das LG mit dem angefochtenen Beschluss zurückgewiesen. Mit seiner Entscheidung ist es der Rechtsprechung des BGH (BGH v. 1.3.1993 - II ZR 179/91, BRAK 1993, 180 = MDR 1993, 913 = NJW 1993, 1715) gefolgt, wonach sich die Bewilligung von Anwaltsgebühren im Rahmen der Prozesskostenhilfe auf die Erhöhungsbeträge nach § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO beschränkt, wenn zwei Streitgenossen denselben Prozessbevollmächtigten mit der Wahrnehmung ihrer Interessen in einem Rechtsstreit, der dieselbe Angelegenheit betrifft, beauftragen, aber nur bei einem von ihnen die persönlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe vorliegen.

Dagegen richtet sich die Beschwerde des Prozessbevollmächtigten, der das LG nicht abgeholfen hat.

II. Die nach § 128 Abs. 4 BRAGO zulässige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

Dem Beschwerdeführer stehen die mit dem Antrag vom 27.1.2005 geltend gemachten 10/10 Gebühren nach der Tabelle für Prozesskostenhilfeverfahren gegen die Landeskasse zu.

Der Vergütungsanspruch des beigeordneten Rechtsanwalts, der neben der mittellosen Partei auch einen leistungsfähigen Streitgenossen in derselben Angelegenheit vertritt, ist nicht auf den Mehrvertretungszuschlag beschränkt, sondern umfasst die vollen, durch die Vertretung der bedürftigen Partei nach § 123 BRAGO ausgelösten Anwaltsgebühren (so auch OLG München v. 22.4.1996 - 11 W 2958/95, OLGReport München 1996, 207 = MDR 1996, 857 = NJW-RR 1997, 191; OLG Düsseldorf v. 1.7.1997 - 10 W 86/97, MDR 1997, 1071 = OLGReport Düsseldorf 1997, 340 = NJW-RR 1997, 1493; OLG Stuttgart, JurBüro 1997, 200; OLG Schleswig, JurBüro 1998, 476; OLG Köln v. 29.6.1998 - 17 W 302/96, OLGReport Köln 1998, 438 = NJW-RR 1999, 725; OLG Hamm, AGS 2003, 509).

Soweit der BGH (BGH v. 1.3.1993 - II ZR 179/91, BRAK 1993, 180 = MDR 1993, 913 = NJW 1993, 1715) die Prozesskostenhilfe in diesen Fällen auf die Erhöhungsgebühren beschränkt, fehlt dafür eine gesetzliche Grundlage. Der BGH begründet seine Auffassung mit dem Sinn der §§ 114 ff. ZPO, wonach die mittellose Partei für ihre Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung staatliche Hilfe nur in Anspruch nehmen könne, soweit sie aus finanziellen Gründen zur Prozessführung außerstande sei. Dem Sinn des Prozesskostenhilferechts widerspräche es jedoch, wenn die vermögende Partei aus Steuermitteln finanziell dadurch entlastet würde, dass ihr Prozessbevollmächtigter zugleich eine bedürftige Partei vertritt.

Demgegenüber normiert § 6 Abs. 2 BRAGO, dass jeder Auftraggeber die Gebühren mit Ausnahme der Erhöhungen in vollem Umfang schuldet. Dies gilt nach der Gesetzesfassung auch dann, wenn eine bedürftige Partei den Rechtsanwalt beauftragt. Einschränkungen für den Fall, dass der Prozess von Streitgenossen geführt wird, finden sich im Gesetz nicht, auch nicht für den Fall, dass einer der Streitgenossen prozesskostenhilfebedürftig ist.

Zudem lässt sich die seinerzeit vom BGH vertretene Auffassung auch aus anderen Gründen nicht mit der bestehenden Gesetzessystematik vereinbaren. Grundsätzlich haben Streitgenossen die Möglichkeit, sich in einem Rechtsstreit von demselben Prozessbevollmächtigten vertreten zu lassen und damit die Kosten der Prozessführung herabzusetzen. Dem Prozessbevollmächtigten steht dann statt zweier voller Vergütungen nur eine volle Vergütung und zusätzlich die Erhöhungsgebühr von 3/10 zu. Der Prozessbevollmächtigte kann nach seiner Wahl von jedem Streitgenossen die angefallenen 10/10 Gebühren verlangen, von beiden zusammen aber nicht m...

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