Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Verfassungsmäßigkeit des neuen Wiederaufnahmegrundes in § 362 Nr. 5 StPO

 

Leitsatz (amtlich)

Die Neuregelung des Wiederaufnahmegrundes in § 362 Nr. 5 StPO ist verfassungsgemäß.

 

Normenkette

StPO § 362 Nr. 5; GG Art. 3 Abs. 2, Art. 20, 103 Abs. 3

 

Verfahrensgang

LG Verden (Aller) (Entscheidung vom 25.02.2022; Aktenzeichen 1 Ks 148 Js 1066/22 (102/22)

 

Nachgehend

BVerfG (Urteil vom 31.10.2023; Aktenzeichen 2 BvR 900/22)

BVerfG (Einstweilige Anordnung vom 16.06.2023; Aktenzeichen 2 BvR 900/22)

BVerfG (Einstweilige Anordnung vom 14.07.2022; Aktenzeichen 2 BvR 900/22)

 

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss der 1. großen Strafkammer des Landgerichts Verden vom 25.02.2022 über die Zulässigkeit des Antrags der Staatsanwaltschaft Verden (Aller) auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 362 Nr. 5 StPO wird als unbegründet verworfen.

2. Die Beschwerde des Betroffenen gegen die in dem Beschluss der 1. großen Strafkammer des Landgerichts Verden vom 25.02.2022 angeordnete Untersuchungshaft wird als unbegründet verworfen.

3. Der Betroffene hat die Kosten des Rechtsmittelverfahrens und die ihm insoweit entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

 

Gründe

A.

Mit seiner sofortigen Beschwerde wendet sich der Betroffene gegen den Beschluss des Landgerichts Verden vom 25.02.2022 (1 Ks 148 Js 1066/22), durch den der Antrag der Staatsanwaltschaft Verden (Aller), das durch rechtskräftigen Freispruch im Urteil des Landgerichts Stade vom 13.05.1983, Az. 10 Ks 9 Js 3228/83 (12/83), abgeschlossene Strafverfahren zuungunsten des Betroffenen wiederaufzunehmen, für zulässig erklärt wurde. Zudem erhebt der Betroffene Beschwerde gegen die in dem Beschluss getroffene Anordnung der Untersuchungshaft.

Die Staatsanwaltschaft Lüneburg (Az. 42 Js 1030/81) warf dem Beschwerdeführer mit Anklage vom 02.03.1982 vor, sich der Vergewaltigung nach § 177 Abs. 1 StGB aF sowie des Mordes nach § 211 StGB strafbar gemacht zu haben. Der Anklage zufolge soll der Beschwerdeführer am Abend des 04.11.1981 in der Gemarkung H. die seinerzeit 17 Jahre alte Schülerin F. v. M. als Anhalterin in seinem Pkw mitgenommen und gegen ihren Willen in das Waldgebiet in der Nähe des H. H. gebracht haben. Dort soll der Beschwerdeführer unter Ausnutzung ihrer Wehrlosigkeit an ihr den Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss ausgeführt haben. Nachdem F. v. M. ihre Kleidung wieder angelegt und geordnet gehabt habe, soll der Beschwerdeführer mehrfach mit einem Messer auf sie eingestochen haben, wodurch sie tödliche Verletzungen u.a. an der Lunge und dem Herzbeutel erlitten habe. Anschließend soll der Beschwerdeführer dem bereits sterbenden Opfer noch die Kehle durchgeschnitten haben.

Das Landgericht Lüneburg hat den Beschwerdeführer mit Urteil vom 01.06.1982, Az. 17 Ks 42 Js 1030/81 (3/82), wegen Vergewaltigung und wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt.

Auf die hiergegen vom Beschwerdeführer eingelegte Revision hat der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 25.01.1983, Az. 5 StR 782/82, das angefochtene Urteil mit den getroffenen Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Stade verwiesen.

Das Landgericht Stade, Az. 10 Ks 9 Js 3228/83 (12/83), hat den Beschwerdeführer in der Hauptverhandlung vom 13.05.1983 freigesprochen. Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen angeführt, dass die Einlassung des Beschwerdeführers, er habe die ihm zur Last gelegten Taten nicht begangen, nicht zu widerlegen gewesen sei. Die Beweisaufnahme habe keine gesicherten Hinweise dafür ergeben, dass sich der Beschwerdeführer am Tatort befunden habe. Zum einen hätten die am Tatort sichergestellten Reifenspuren nicht dem damaligen Fahrzeug des Beschwerdeführers zugeordnet werden können. Zum anderen seien die an der Bekleidung des Opfers sichergestellten verschiedenen Faserspuren nicht ausreichend gewesen, um aus ihnen einen sicheren Schluss auf einen Kontakt mit Textilien im Pkw des Beschwerdeführers ziehen zu können. Weitere Anhaltspunkte für eine Täterschaft des Beschwerdeführers habe die Hauptverhandlung nicht erbracht.

Im Jahr 2012 führte das Landeskriminalamt N. eine molekulargenetische Vergleichsuntersuchung von Sekretanhaftungen, die an einem Stück Toilettenpapier und einem Stück Stoff aus dem von F. v. M. zum Tatzeitpunkt getragenen Slip sichergestellt worden waren, durch. Ausweislich des Gutachtens vom 24.07.2012 (HA Bd. IVa, Bl. 28 ff. d.A) kommt der Beschwerdeführer als Verursacher der Sekretanhaftungen in Betracht. So wurde in dem Spurenmaterial in drei Merkmalssystemen eine Überstimmung der DNA-Merkmale mit DNA-Merkmalen des Beschwerdeführers festgestellt. Zudem konnten sämtliche der überprüften 13 DYS-Merkmale des Beschwerdeführers in dem sichergestellten Spurenmaterial nachgewiesen werden.

Nachdem mit dem "Gesetz zur Herstellung der materiellen Gerechtigkeit" vom 21.12.2021 (BGBl. Teil I, Nr. 86, 2021) in § 362 Nr. 5 StPO der neue Wiederaufnahmegrund der neuen Tatsachen und...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge