Leitsatz (amtlich)

Ein Anspruch auf Ausbildungsunterhalt kann auch dann bestehen, wenn die unterhaltsberechtigte Tochter ihre Erstausbildung erst 9 Jahre nach Abschluss ihrer Schulausbildung aufnimmt, weil sie für jeweils drei Jahre ihre beiden Kinder selbst betreut hat und sodann zeitnah keinen Ausbildungsplatz finden konnte.

Die dem unterhaltsberechtigten Kind gezahlte Berufsausbildungsbeihilfe (§§ 56 ff. SGB III) ist nach Abzug der darin enthaltenen Kinderbetreuungskosten (§ 64 Abs. 3 Satz 1 SGB III) bedarfsdeckend anzurechnen.

 

Verfahrensgang

AG Lüneburg (Beschluss vom 11.08.2015; Aktenzeichen 37 F 93/15)

 

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird geändert.

Der Antragstellerin wird ratenlose Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin ..., bewilligt.

 

Gründe

I. Die Antragstellerin begehrt von ihrem Vater, dem Antragsgegner, Ausbildungsunterhalt für die Zeit ab September 2014 von monatlich 210,76 EUR.

Die am ... November 1989 geborene Antragstellerin hat im Jahr 2005 die Schule mit dem Hauptschulabschluss beendet. Danach besuchte sie die Berufsschule N. mit dem Ziel, dort den Realschulabschluss zu erzielen. Infolge ihrer Schwangerschaft musste sie die dortige Ausbildung jedoch abbrechen.

Am 2.2.2006 wurde ihre Tochter C. geboren, die die Antragstellerin in der Folge überwiegend betreute. Zum Schuljahr 2007/2008 nahm die Antragstellerin eine Ausbildung an der Berufsfachschule A. auf, die sie jedoch nach ihrem Vorbringen wegen einer Überforderung neben der Kinderbetreuung abbrechen musste. Dies gilt auch für die im September 2008 begonnene Ausbildung zur Restaurantfachfrau. Seit Februar 2009 erhielt die Antragstellerin Leistungen nach dem SGB II. Am 30.9.2010 wurde ihre Tochter S. geboren, die sie in der Folgezeit betreut hat. Von August 2009 bis August 2013 lebte sie mit dem Kindesvater von S. zusammen.

Ab September 2014 hat die Antragstellerin eine Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau bei der bb Gesellschaft für Beruf und Bildung mbH in I. aufgenommen. Im ersten Lehrjahr erzielt sie dort eine Ausbildungsvergütung von 316 EUR.

Nach ihrem Vorbringen sind die Väter ihrer Töchter nur teilweise in der Lage, den Kindesunterhalt zu bestreiten. Darüber hinaus verfügt auch ihre Mutter über keine unterhaltsrechtlich relevanten Einkünfte.

Das AG hat im angefochtenen Beschluss der Antragstellerin Verfahrenskostenhilfe mit der Begründung versagt, dass ein Anspruch auf Ausbildungsunterhalt dem Grunde nach nicht bestehe, weil die Antragstellerin mehrfach ihre Berufsausbildung abgebrochen habe und daher der Antragsgegner nicht mehr damit habe rechnen müssen, auf Ausbildungsunterhalt in Anspruch genommen zu werden. Dies gelte auch im Hinblick darauf, dass zwischen der Geburt beider Töchter ausreichend Zeit bestanden habe, eine Berufsausbildung zu beginnen.

Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde und macht geltend, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bis zum 3. Lebensjahr ihrer letztgeborenen Tochter eine Erwerbsobliegenheit nicht bestehe. Der Unterhaltsanspruch sei der Höhe nach begründet, zumal in der ihr gezahlten Berufsausbildungsbeihilfe von 429 EUR ein Betrag von 260 EUR auf Kinderbetreuungskosten entfalle. Darüber hinaus sei der Antragsgegner unterhaltsrechtlich leistungsfähig.

II. Die Beschwerde ist gemäß §§ 113 Abs. 2 FamFG, 197 Abs. 2 Satz 2 ZPO als sofortige Beschwerde zulässig und begründet.

1. Für die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe ist davon auszugehen, dass der Antragstellerin ein Anspruch auf Ausbildungsunterhalt gemäß §§ 1601, 1610 Abs. 2 BGB dem Grunde nach zusteht.

Der Antragsgegner hat in seiner Antragserwiderung zu Recht darauf hingewiesen, dass dem Anspruch auf Ausbildungsunterhalt der Grundsatz der Gegenseitigkeit in dem Sinne zugrunde liegt, dass es dem unterhaltsberechtigten Kind obliegt, nach Abschluss der Schulausbildung die berufliche oder weiterführende schulische Ausbildung zeitnah zu beginnen (vgl. BGH FamRZ 2013, 1375; FA-FamR/Seiler, 10. Aufl., Kap. 6 Rn. 298). Daher muss sich das unterhaltsberechtigte Kind alsbald um einen entsprechenden Ausbildungsplatz bemühen und unter Berücksichtigung einer gewissen Orientierungsphase die Ausbildung beginnen und diese zielstrebig durchführen. Eine Einschränkung erfährt der Anspruch auf Ausbildungsunterhalt dadurch, dass an die Stelle der Elternverantwortung die Eigenverantwortung des Kindes dann treten kann, wenn das unterhaltsberechtigte Kind nach Schulabgang seine Lebensverhältnisse eigenständig und unabhängig von den Eltern gestaltet hat. In diesem Fall kann es den unterhaltspflichtigen Eltern unzumutbar sein, weiterhin für den Unterhaltsbedarf des Kindes aufzukommen (vgl. BGH FamRZ 2001, 757; 1998, 671, 672).

Allerdings hat der Bundesgerichtshof (FamRZ 2011, 1560; 1998, 671, 672; OLG Stuttgart, FamRZ 1996, 181) ebenfalls wieder holt hervorgehoben, dass es eine feste Altersgrenze, bis zu der ein Jugendlicher oder ein volljähriges Kind eine Ausbildung aufgenommen haben muss, nicht besteht. Maßgeblich sind hierf...

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