Leitsatz (amtlich)

1. Im Zivilprozess gilt das Wahrheitsgebot.

2. Ein Anleger, der ein Anlageberatungsunternehmen auf Schadensersatz mit der Begründung in Anspruch nimmt, er sei von dem Berater in dem Beratungsgespräch nicht hinreichend über - schriftsätzlich konkret benannte - Risiken aufgeklärt worden, hält keinen schlüssigen Vortrag zu einer Anlageberaterpflichtverletzung, wenn er im Rahmen seiner persönlichen Anhörung vor dem Gericht einräumt, sich an den Ablauf des - viele Jahre zurückliegenden - Beratungsgespräches gar nicht mehr erinnern zu können.

 

Verfahrensgang

LG Lüneburg (Aktenzeichen 5 O 313/16)

 

Tenor

I.

Es wird erwogen, die Berufung durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO

zurückzuweisen.

Dem Kläger wird Gelegenheit zur Stellungnahme binnen einer Frist von drei Wochen nach Zustellung des Beschlusses gegeben.

II.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 15.375,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.

Der Rechtssache kommt weder grundsätzliche Bedeutung zu fordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts. Ferner ist auch eine mündliche Verhandlung nicht geboten. Die Berufung hat nach derzeitigem Beratungsstand schließlich auch offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Das landgerichtliche Urteil ist mindestens im Ergebnis richtig.

Ein Schadensersatzanspruch des Klägers besteht jedenfalls schon deshalb nicht, weil er eine Anlageberaterpflichtverletzung der Beklagten nicht schlüssig vorgetragen hat.

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann eine ordnungsgemäße Anlageberatung auch durch die Übergabe von Prospektmaterial erfolgen, sofern der Prospekt nach Form und Inhalt geeignet ist, die nötigen Informationen wahrheitsgemäß und verständlich zu vermitteln und er dem Anlageinteressenten so rechtzeitig vor dem Vertragsschluss übergeben wird, dass sein Inhalt noch zur Kenntnis genommen werden kann, (vgl. etwa BGH, Urteil vom 24. April 2014

- III ZR 389/12, juris Rn. 9; BGH, Urteil vom 8. Juli 2010 - III ZR 249/09, juris Rn. 32). Die Nichtübergabe des Emissionsprospektes vor der Zeichnung muss der jeweilige Anleger darlegen und beweisen. Denn ihn trifft als Anspruchsteller nach den allgemeinen zivilprozessualen Regeln die Darlegungs- und Beweislast für die behaupteten Aufklärungs- oder Beratungspflichtverletzungen. Allerdings handelt es sich bei der Nichtübergabe um eine für ihn negative Tatsache. Die mit dem Nachweis einer negativen Tatsache verbundenen Schwierigkeiten werden - gerade im Bereich der Aufklärungs- und Beratungspflichten - nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung dadurch ausgeglichen, dass die andere Partei die behauptete Fehlberatung substantiiert bestreiten und darlegen muss, wie im Einzelnen beraten bzw. aufgeklärt worden sein soll; dem Kläger obliegt sodann der Nachweis, dass diese Gegendarstellung nicht zutrifft (vgl. BGH, Urteil vom 5. Mai 2011 - III ZR 84/10, juris Rn. 17; BGH, Urteil vom 24. Januar 2006 - XI ZR 320/04, juris Rn. 15).

Voraussetzung für die besonderen Anforderungen an den Vortrag der Beklagtenseite hinsichtlich der (rechtzeitigen) Übergabe des Prospekts ist allerdings, dass zunächst der Anleger eine Aufklärungspflichtverletzung hinreichend dargelegt hat. Das setzt voraus, dass er in Bezug auf jedes einzelne Risiko, auf das er seine Klage stützt, vorträgt, über dieses weder mündlich noch mittels einer Übergabe des jeweiligen Prospektes hinreichend aufgeklärt worden zu sein. In Bezug auf Letzteres bedeutet dies, dass er darlegt, dass der Prospekt eine diesbezügliche Risikoaufklärung nicht enthält oder aber, dass er den - eine Aufklärung beinhaltenden - Prospekt nicht oder nicht so rechtzeitig vor der Zeichnung erhalten hat, dass er dessen Inhalt noch zur Kenntnis nehmen konnte (vgl. zu der Zeitspanne zwischen Prospektübergabe und Zeichnung etwa Urteil vom 26. Januar 2017 - 11 U 96/16, juris Rn. 39). Hat der Anleger den Prospekt erhalten, so hat er den - aus seiner Sicht zu späten - Zeitpunkt der Übergabe vorzutragen.

Erst dann hat das Beratungsunternehmen im Rahmen der sekundären Darlegungslast die Behauptung dieser (negativen) Tatsache durch eine konkrete Darlegung entgegenzutreten. Hinsichtlich dieser sekundären Darlegungslast entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass das Beratungsunternehmen das Vorbringen des klägerischen Anlegers zu den Einzelheiten der Prospektübergabe nicht mit Nichtwissen nach § 138 Abs. 4 ZPO bestreiten darf (vgl. dazu z. B. Senat, Urteil vom 22. September 2016 - 11 U 13/16, juris Rn. 27 ff.). Ebenso ist es dem in Anspruch genommenen Anlageberater nach der Senatsrechtsprechung verwehrt, trotz eingestandener Unkenntnis über den Geschehensablauf dennoch hinsichtlich des "Ob" und des "Wann" der Prospektübergabe eine diesbezügliche, konkrete Behauptung aufzustellen (Senat, a. a. O., juris Rn. 34 f.). Der Senat verlangt aus diesem Grund regelmäßig, dass das Beratungsunternehmen das Positivum darzulegen, d. h. sein Bestreiten auf konkrete Anhaltspunk...

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