Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertagung der Verhandlung bei gescheiterter Bild- und Tonübertragung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das Gericht hat die Verhandlung nach § 337 Satz 1 ZPO zu vertagen, wenn eine Partei an der nach § 128a Abs. 1 ZPO im Wege der Bild- und Tonübertragung durchgeführten Verhandlung nicht teilnimmt, weil die Übertragung aus ihr nicht zuzurechnenden ungeklärten technischen Gründen nicht zustande kommt.

2. Bei der Beurteilung, ob technische Störungen mit unklarer Ursache einer Partei als Verschulden zuzurechnen sind, ist der Normzweck des § 128a Abs. 1 ZPO zu berücksichtigen, nach dem die Nutzung dieser Verfahrensweise nicht derart erschwert werden darf, dass sie für den Verfahrensbeteiligten, der im Wege der Bild- und Tonübertragung an der Verhandlung teilzunehmen beabsichtigt, riskanter ist als das persönliche Erscheinen im Gericht.

 

Normenkette

ZPO § 128a Abs. 1, § 337 S. 1, § 569 Abs. 1 S. 2

 

Verfahrensgang

LG Verden (Aller) (Beschluss vom 08.02.2022; Aktenzeichen 2 O 78/21)

LG Verden (Aller) (Beschluss vom 12.04.2022; Aktenzeichen 2 O 78/21)

 

Tenor

I. Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen die Beschlüsse des Landgerichts Verden vom 8. Februar 2022 und vom 12. April 2022 wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I. Der Kläger nimmt die Beklagten auf Erfüllung eines Kaufvertrags über ein gebrauchtes Wohnmobil in Anspruch.

Am 22. September 2020 schlossen der Beklagte zu 1 als Verkäufer und der Kläger als Käufer einen Kaufvertrag über ein gebrauchtes Wohnmobil der Marke R./A. zum Preis von 35.000 EUR. Wegen der Einzelheiten wird auf den Kaufvertrag vom 22. September 2020 Bezug genommen (Anlage K1, Bl. 8 Bd. I d. A.). Der Kläger leistete vereinbarungsgemäß eine Anzahlung von 500 EUR. Am 16. Oktober 2020 teilten die Beklagten dem Kläger mit, das Wohnmobil sei von einem Mieter falsch betankt worden und deshalb reparaturbedürftig (Anlage K5, Bl. 12 Bd. I d. A.). Mit Schreiben vom 2. November 2020 (Anlage K7, Bl. 14 Bd. I d. A.) forderte der Kläger den Beklagten zu 1 unter einer Frist von zehn Tagen zur Mängelbeseitigung auf. Mit Schreiben vom 11. November 2020 (Anlage K8, Bl. 15 Bd. I d. A.) erklärte der Beklagte zu 1 den Rücktritt vom Kaufvertrag mit der Begründung, "dass die Parameter des Kaufvertrages nicht eingehalten werden können".

Der Kläger behauptet, der Beklagte zu 1 habe beim Abschluss des Kaufvertrages im Rahmen seiner gewerblichen Tätigkeit der Vermietung und des Verkaufs von Wohnmobilen gehandelt. Die Beklagte zu 2 hafte unter dem Gesichtspunkt der Firmenfortführung, weil der Beklagte zu 1 seinen Betrieb am 8. April 2021 eingestellt und auf die Beklagte zu 2 übertragen habe.

Der Kläger behauptet, für den Erwerb eines vergleichbaren Wohnmobils müsse er mindestens 44.000 EUR aufwenden.

Die Beklagten behaupten, der Beklagte zu 1 habe das Wohnmobil mit Vertrag vom 14. September 2020 (Bl. 183 Bd. I d. A.) an den Zeugen W. veräußert und sei deshalb nicht mehr imstande, den mit dem Kläger geschlossenen Vertrag zu erfüllen.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 10. November 2021 hat der Kläger beantragt, wie folgt für Recht zu erkennen:

1. Die Beklagten werden verurteilt, das gebrauchte Wohnmobil der Marke R. Fahrzeugidentifikationsnummer ... an den Kläger zu übergeben und zu übereignen, Zug um Zug gegen Zahlung des Klägers in Höhe von 34.500 EUR brutto.

Hilfsweise: Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger Schadensersatz in Höhe von 9.500 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 13. November 2020 zu zahlen.

2. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.474,89 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit an den Kläger zu zahlen.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Landgericht hat Termin zur Beweisaufnahme durch Vernehmung des Zeugen W. und zur mündlichen Verhandlung auf den 8. Februar 2022 anberaumt. Durch Beschluss vom 1. Februar 2022 hat es den Parteien und Parteivertretern sowie dem Zeugen gestattet, sich während der Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen vorzunehmen.

Ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 8. Februar 2022, auf das wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird (Bl. 234 Bd. II d. A.), erschienen bei Aufruf der Sache im Wege der Bild- und Tonübertragung der Klägervertreter und der Kläger persönlich sowie der Zeuge W.. Eine Verbindung zum Beklagtenvertreter konnte nicht hergestellt werden. Der Klägervertreter beantragte eine Entscheidung durch Versäumnisurteil. Das Gericht erließ folgenden Beschluss: "Neuer Termin von Amts wegen."

Mit Schriftsatz vom 9. Februar 2022 führte der Kläger seine Auffassung näher aus, dass die Voraussetzungen für den Erlass eines Versäumnisurteils erfüllt seien. Habe eine Säumnis nicht vorgelegen, so sei der Antrag auf Erlass eines Versäum...

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