Leitsatz (amtlich)

1. Für die von einem deutschen Gericht auszusprechende Scheidung von Eheleuten, die bei Eheschließung ausschließlich eine gemeinsame ausländische (hier: iranische) Staatsangehörigkeit hatten und diese Staatsangehörigkeit nie verloren haben, ist (iranisches) Heimatrecht gemäß Artt. 17 Abs. 1, 14 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 EGBGB berufen, wenn der antragstellende Ehemann im Zeitpunkt des Eintritts der Rechthängigkeit zusätzlich die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hat.

2. Hat der Ehemann seine bei Eintritt der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrages vorhandene zusätzliche deutsche Staatsangehörigkeit im Laufe des schwebenden Verbundverfahrens verloren und sind beide Eheleute wieder allein iranische Staatsangehörige, so ist gem. Art. 8 Abs. 2 NiederdlAbk IRn. umfassend und ausschließlich iranisches Sachrecht berufen.

3. Die Frage des berufenen Sachrechts stellt in dieser Ausgangslage keine entscheidungserhebliche, bislang nicht abschließend geklärte schwierige Rechtfrage dar, die eine Erstreckung von Verfahrenskostenhilfe auf Ansprüche in Folgesachen, die allein unter Anwendung deutschen Sachrechtes in Betracht kommen, begründen könnte, da sowohl Art. 8 Abs. 2 NiederlAbk IRn. als auch Artt. 17 Abs. 1, 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB übereinstimmend zur Anwendbarkeit iranischen Sachrechts führen.

4. Die Regelungen des iranisch-schiitischen Rechts, nach denen die Ehefrau - unabhängig von der Betreuung eines minderjährigen Kindes aus der Ehe - keinen längerfristigen nachehelichen Unterhalt beanspruchen kann, sind jedenfalls in den Fällen unproblematisch mit dem deutschen ordre public vereinbar, in denen das Kind bereits die Schule besucht und besondere kind- oder elternbezogene Billigkeitsgründe für weitergehenden Unterhalt i.S.v. §§ 1570 Abs. 1 Satz 1 und 2 sowie 1615l Abs. 2 Satz 4 und 5 BGB weder ersichtlich noch dargetan sind.

5. Auf die Klausel in einem nach iranischem Recht geschlossenen Ehevertrag, nach der sich der Ehemann verpflichtet, unter bestimmten Voraussetzungen "gemäß dem Urteil des Gerichts bis zur Hälfte seines während der Ehe erworbenen Vermögens oder dessen Äquivalent an die Ehefrau zu übertragen", kann ohne substantiierte Darlegung zu ausdrücklich vereinbarten oder aus anderen Gesichtspunkten - etwa einer diesbezüglichen iranischen Rechtspraxis - herzuleitenden Maßstäben zur Ausfüllung des in der Vereinbarung in keiner Weise festgelegten Umfanges der Übertragung ein Ausgleichs-Anspruch nicht erfolgreich gestützt werden.

 

Normenkette

EGBGB Art. 17 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2, Abs. 6; NiederlAbk IRN Art. 8 Abs. 2

 

Verfahrensgang

AG Hannover (Beschluss vom 10.01.2011; Aktenzeichen 604 F 5097/09)

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des AG - Familiengericht - Hannover vom 10.1.2011 unter Zurückweisung der weitergehenden Beschwerde teilweise geändert:

Der Antragsgegnerin wird Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Verfahrensbevollmächtigten auch insoweit bewilligt, als sie für die Dauer von 100 Tagen nach rechtskräftiger Scheidung nachehelichen Unterhalt i.H.v. monatlich 1.050 EUR geltend macht, also für einen weiteren Verfahrenswert von 3.500 EUR.

 

Gründe

I. Die Beteiligten haben am 9.3.2000 vor dem Eheschließungsbüro Nr. 14 in T. (Iran) zur Registernummer xxx als Muslime schiitischen Glaubens die Ehe geschlossen; sie waren zu diesem Zeitpunkt beide ausschließlich iranische Staatsangehörige. Die Ehefrau (Antragsgegnerin) ist weiterhin ausschließlich iranische Staatsangehörige; der Ehemann (Antragsteller) hatte zwischenzeitlich - vor Oktober 2009 - zusätzlich auch die deutsche Staatsangehörigkeit erworben, hat diese jedoch durch Verzicht am 2.3.2010 wieder verloren, so dass er nunmehr wiederum ausschließlich iranischer Staatsangehöriger ist. Aus der Ehe ist eine am xx. xxxx 2003 geborene Tochter hervorgegangen, die seit der Trennung ihrer Eltern im August 2009 bei der Ehefrau lebt und die Schule besucht.

Am 6.10.2009 hat der Ehemann das vorliegende Scheidungsverfahren eingeleitet, für das seiner Auffassung nach iranisches Sachrecht maßgeblich ist.

Die Ehefrau, der der Scheidungsantrag am 24.10.2009 zugestellt worden ist, tritt dem Scheidungsbegehren entgegen und hat zur Verteidigung um Verfahrenskostenhilfe (VKH) nachgesucht, da sie nach eigenem Vortrag Ansprüche - so auch bereits titulierte Vorschussansprüche - gegenüber dem Ehemann nicht vollstrecken konnte, mithin ein nach den Einkommens- und Vermögensverhältnissen grundsätzlich unproblematischer Verfahrenskostenvorschuss jedenfalls nicht zeitnah durchsetzbar sei. Sie vertritt vorrangig die Auffassung, aufgrund der auch deutschen Staatsangehörigkeit des Antragstellers im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit sei materiell deutsches Sachrecht berufen. Soweit sie sich zunächst mangels Einhaltung des Trennungsjahres gegen das Vorliegen der deutschen Scheidungsvoraussetzungen gewandt hat, kommt es darauf mittlerweile aufgrund Zeitablaufs nicht mehr entscheidend an. Die Ehefrau will jedoch im Verbund ihrerseits nach deuts...

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