Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderung an die Darstellung der Beweiswürdigung bei Abstellen auf Aussagekonstanz

 

Leitsatz (amtlich)

1. Stützt das Gericht seine Überzeugung von der Glaubwürdigkeit eines Belastungszeugen trotz des Vorliegens von Besonderheiten, wie z.B. angenommener Belastungstendenzen, Erinnerungslücken oder abweichender Angaben im Randgeschehen, maßgeblich auf die Konstanz seiner Aussagen im Ermittlungsverfahren und in der Hauptverhandlung, muss es dessen Angaben in den Urteilsgründen mitteilen, damit dem Revisionsgericht eine Überprüfung der Konstanzanalyse möglich ist.

2. Das freiwillige Verlassen des Sitzungssaales durch den Angeklagten während der Vernehmung der Zeugen stellt einen Verstoß gegen § 338 Nr. 5 StPO i. V. m. § 230 StPO dar, auch wenn der Angeklagte der Verhandlung bei geöffneter Tür aus einem Nebenraum folgen konnte.

3. Im Rahmen der Strafzumessung muss bei einer strafschärfenden Berücksichtigung einer nicht tilgungsreifen und nicht einschlägigen Vorverurteilung, die bereits 13 Jahre zurück liegt, der Zeitablauf bedacht werden.

 

Normenkette

StPO §§ 230, 261, 267, 338 Nr. 5; StGB § 46

 

Verfahrensgang

LG Hannover (Entscheidung vom 27.10.2016; Aktenzeichen 62 Ns 32/16)

 

Tenor

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere kleine Jugendkammer des Landgerichts Hannover zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Hannover hat den Angeklagten mit Urteil vom 29. April 2016 wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 80 € verurteilt. Auf die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Hannover mit dem angefochtenen Urteil die Tagessatzhöhe auf 50 € festgesetzt und die Berufung im Übrigen verworfen.

Zur Person hat das Landgericht festgestellt, dass der von seiner Familie getrennt lebende Angeklagte verheiratet und Vater von 2 Kindern ist. Er erwirtschaftet - so das Landgericht - aus den von ihm betriebenen Friseursalons monatlich 1500 € nebst Trinkgelder, wovon er 710 € monatlich Unterhalt an seine Töchter bezahlt. Hinsichtlich der Vorstrafen des Angeklagten hat das Landgericht ausgeführt, dass der Angeklagte am 20. September 2003 vom Amtsgericht Hannover wegen Verschleierung unrechtmäßig erworbener Vermögenswerte in 23 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt wurde, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt und die später erlassen wurde.

Zur Sache hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte am 8. November 2014 seine damals 14 Jahre alte Tochter im Rahmen einer verbalen Auseinandersetzung als "Nutte" und "Schlampe" beschimpfte. Um seiner Meinung Nachdruck zu verleihen, griff der Angeklagte seiner Tochter in die Haare, schlug sie mit dem Kopf gegen die Wand und versetzte ihr darüber hinaus zwei weitere Schläge ins Gesicht. Hierdurch erlitt die Geschädigte eine aufgeplatzte Lippe.

Im Rahmen der Beweiswürdigung hat das Landgericht ausgeführt, dass der Angeklagte zwar eine verbale Auseinandersetzung sowie einen Schlag gegen den Oberarm seiner Tochter eingeräumt habe. Im Übrigen habe er den festgestellten Sachverhalt jedoch bestritten. Die Kammer hat seine Einlassung aufgrund der Angaben der Zeuginnen D. O. und A. Ob. sowie aus der Zusammenschau verschiedener Schreiben und SMS-Nachrichten des Angeklagten als widerlegt betrachtet. Die Angaben der beiden Zeuginnen in der Berufungshauptverhandlung seien glaubhaft gewesen, da diese im Vergleich mit ihren im Rahmen von vorangegangenen Vernehmungen im Ermittlungsverfahren sowie in der 1. Instanz gemachten Angaben konstant gewesen seien. Beide Zeuginnen hätten zudem Gefühle wiedergegeben und Komplikationen geschildert. Zwar habe die Zeugin A. Ob. Belastungstendenzen aufgewiesen, den Sachverhalt jedoch gleichwohl "einigermaßen neutral" geschildert. Beide Zeuginnen hätten zudem weitere Ermittlungsansätze benannt, welche es ermöglichen würden, ihre Angaben zu verifizieren. Die Einlassung des Angeklagten werde schließlich auch durch die in der Hauptverhandlung verlesenen verschiedenen Nachrichten und Schreiben des Angeklagten widerlegt, welche belegen würden, dass der Angeklagte ein als cholerisch, aggressiv und von Wutanfällen geprägtes Verhalten an den Tag lege.

Rechtlich hat das Landgericht das festgestellte Tatgeschehen als Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung gewertet.

Bei der Strafzumessung hat die Jugendkammer den Strafrahmen des § 223 StGB zugrunde gelegt und strafmildernd gewertet, dass der Angeklagte durch die Tat "mehr als betroffen" und durch das Strafverfahren stark in Anspruch genommen sei. Strafschärfend hat das Landgericht hingegen gewertet, dass der Angeklagte bereits einmal strafrechtlich - wenn auch nicht einschlägig - in Erscheinung getreten sei, seine Tochter in erniedrigender Weise behandelt und zudem zwei Straftatbestände tateinheitlich verwirklicht habe.

Vor diesem Hintergrund hat das Landger...

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