Entscheidungsstichwort (Thema)

Strafprozess: Auslagenerstattung nach Teilfreispruch

 

Leitsatz (amtlich)

1. Erfolgt beim Teilfreispruch keine Kostenquotelung, so sind im Kostenfestsetzungsverfahren die dem Angeklagten zu erstattenden, auf den Freispruch entfallenden Auslagen nach der Differenztheorie zu bestimmen. Dazu ist von der Gesamtvergütung des Verteidigers das fiktive Honorar abzuziehen, welches ihm zustehen würde, wenn nur die zur Verurteilung gelangte Tat Verfahrensgegenstand gewesen wäre. Für das fiktive Honorar ist auch maßgeblich, ob das Hauptverfahren bei einer von vornherein auf die Verurteilungstat beschränkten Anklage vor einem Gericht niedrigerer Ordnung stattgefunden und ob die Verhandlung weniger Zeit in An-spruch genommen hätte.

2. Auf den hiernach ermittelten Erstattungsbetrag sind gezahlte Pflichtverteidigergebühren in voller Höhe anzurechnen.

 

Normenkette

StPO §§ 464b, 464d; RVG §§ 14, 52

 

Verfahrensgang

LG Stade (Entscheidung vom 12.05.2016; Aktenzeichen 101 KLs 16/15)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Beschwerdeführers als unbegründet verworfen.

 

Gründe

I.

Mit Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Stade vom 10. August 2015 wurde dem inhaftierten Beschwerdeführer schwerer Bandendiebstahl in acht Fällen zur Last gelegt.

Am fünften Verhandlungstag wurde der Beschwerdeführer durch Urteil der 1. großen Strafkammer des Landgerichts Stade vom 23. November 2015 wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls in Tateinheit mit Sachbeschädigung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, und im Übrigen freigesprochen, wobei das Landgericht die dem Verurteilten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse auferlegte.

Der am Landgericht Stade zuständige Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat die dem Pflichtverteidiger des Beschwerdeführers aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung einschließlich Auslagen auf insgesamt 3.367,22 Euro festgesetzt.

Der Antrag des Verurteilten vom 26. November 2015 auf Erstattung notwendiger Auslagen in Form von Wahlverteidigergebühren in Höhe von 341,16 Euro ist durch Rechtspflegerbeschluss vom 12. Mai 2016 abgelehnt worden mit der Begründung, dass auf den Teilfreispruch entfallende ausscheidbare Kosten nicht entstanden seien.

Gegen diesen - am 13. Mai 2015 abgesandten - Beschluss wendet sich der Verurteilte mit seiner sofortigen Beschwerde vom 20. Mai 2016, die am selben Tag beim Landgericht eingegangen ist.

II.

Der Senat hat seine frühere Rechtsprechung aufgegeben und entscheidet über die nach § 464b Satz 3 StPO i.V.m. § 104 Abs. 3 ZPO statthafte sofortige Beschwerde in der Besetzung von drei Mitgliedern mit Einschluss des Vorsitzenden (vgl. Senatsbeschluss vom 21. April 2016 - 1 Ws 187/16).

III.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere innerhalb der maßgeblichen Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, 58. Aufl. 2015, § 464b Rn. 7) eingelegt worden.

Die sofortige Beschwerde hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Das Landgericht hat - im Ergebnis - zu Recht die Erstattung von Auslagen abgelehnt. Allerdings beruht dies nicht darauf, dass durch den Teilfreispruch keine ausscheidbaren Kosten entstanden wären; denn auf das Erfordernis der Ausscheidbarkeit ist beim Teilfreispruch spätestens seit der Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs in BGHSt 25, 109 nicht mehr abzustellen (vgl. LR-Hilger StPO 26. Aufl. § 465 Rn. 36). Vielmehr ergibt sich im vorliegenden Fall zwar nach Anwendung der Differenztheorie ein erstattungsfähiger Betrag. Da hierauf jedoch die bereits ausgezahlten, den Erstattungsbetrag übersteigenden Pflichtverteidigergebühren in voller Höhe anzurechnen sind, verbleibt kein Auszahlungsbetrag mehr.

Im Einzelnen:

1. Hat - wie im vorliegenden Fall - bei einem Teilfreispruch das Gericht in seiner Kostengrundentscheidung keine Quotelung nach § 464d StPO vorgenommen, sondern die Kosten und notwendigen Auslagen des Angeklagten der Landeskasse auferlegt, "soweit" er freigesprochen wurde, kann im anschließenden Kostenfestsetzungsverfahren nach § 464b StPO die Höhe der dem Angeklagten zu erstattenden, auf den Freispruch entfallenden notwendigen Auslagen nach pflichtgemäßem Ermessen des Rechtspflegers entweder nach der sogenannten Differenztheorie oder nach Bruchteilen bestimmt werden (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 10. November 2015 - 1 Ws 197/15 -, juris Rn. 21; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 24. Februar 2010 - 1 Ws 700/09, juris Rn. 10; LR-Hilger aaO. § 465 Rn. 40). Hier hat sich der Rechtspfleger ersichtlich gegen eine Quotelung und für die Differenztheorie entschieden. Das ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

Nach der Differenztheorie soll der zum Teil freigesprochene Verurteilte genauso gestellt werden, wie er gestanden hätte, wenn allein die zur Verurteilung führenden Taten Gegenstand des Verfahrens gewesen wären; die in diesem Fall entstandenen Kosten fallen ihm zur Last. Von den Mehrkosten, die durch die Vorwürfe veranl...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge