Entscheidungsstichwort (Thema)

Völliges Zurücktreten der Betriebsgefahr auch nach neuem Recht möglich

 

Verfahrensgang

LG Hannover (Beschluss vom 13.11.2003; Aktenzeichen 16 O 175/03)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig; sie ist insb. fristgerecht eingelegt worden. Das Rechtsmittel hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Das LG hat den Antrag der Antragstellerin auf Gewährung von Prozesskostenhilfe zu Recht zurückgewiesen, weil die von ihr beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 114 ZPO). Der Senat teilt die Auffassung des LG, dass weder der Antragstellerin noch ihrer Mutter für die sie aus abgetretenem Recht zu klagen beabsichtigt, nach dem bisherigen Sach- und Streitstand ggü. den Antragsgegnern ein Schadensersatz- oder Schmerzensgeldanspruch wegen des Verkehrsunfalls zusteht, bei dem ihr Vater V. beim Überqueren der A.-straße in B. am frühen Abend des 25.12.2002 als Fußgänger Verletzungen erlitt, die am 2.2.2003 zu seinem Tode führten. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffenden Ausführungen, mit denen das LG diese Einschätzung in dem angefochtenen Beschluss begründet hat, Bezug genommen.

Auch das Beschwerdevorbringen gibt dem Senat keine Veranlassung zu einer abweichenden Entscheidung. Das LG hat seiner Beurteilung zu Recht im Wesentlichen das im Rahmen des Ermittlungsverfahrens 1362 Js 7885/03 StA Hannover eingeholte Gutachten des DEKRA-Sachverständigen Dipl.-Ing. C. vom 5.5.2003 (BA 101 ff.) zugrunde gelegt. Auf der Basis dieses Gutachtens lässt sich schon nicht feststellen, dass der Antragsgegner zu 1) die an der Unfallstelle zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h überschritten hat. Darüber hinaus kommt der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass der Unfall räumlich nur dann vermeidbar gewesen wäre, wenn sich der Antragsgegner zu 1) der Unfallstelle mit einer Geschwindigkeit von höchsten 29 km/h genähert hätte. In zeitlicher Hinsicht gilt dies für eine Geschwindigkeit von maximal 35 km/h. Eine derart reduzierte Geschwindigkeit brauchte der Antragsgegner zu 1) aber von Rechts wegen in der konkreten Situation nicht einzuhalten, und zwar auch dann nicht, wenn man berücksichtigt, dass sich der Unfall bei Dunkelheit ereignete und die Straße nass/feucht war.

Fehler dieses Gutachtens vermag die Antragstellerin nicht aufzuzeigen. Auch wenn der unfallbeteiligte Pkw im rechten Bereich der Motorhaube und der Windschutzscheibe beschädigt worden ist, ändert dies doch nichts daran, dass sich die Kollision im linken Bereich der Fahrbahn zugetragen haben kann. Da es weder Zeugen gibt, die das eigentliche Unfallgeschehen beobachtet haben, noch sonstige Spuren darauf hinweisen, dass sich der Unfall in einem anderen Bereich der Fahrbahn – insb. weiter rechts aus der Sicht des Antragsgegners zu 1) – ereignet hat, ist der Sachverständige zugunsten des Antragsgegners zu 1) zu Recht davon ausgegangen, dass sich der Unfall im linken Bereich der Fahrbahn zugetragen hat. Hiervon ist auch im Rahmen des Zivilrechtsstreits auszugehen, weil die für ein Verschulden des Antragsgegners zu 1) darlegungs- und beweisbelastete Antragstellerin mangels entsprechender Beweismittel nicht nachzuweisen vermag, dass sich der Unfall an einer anderen Stelle der Fahrbahn (insb. weiter rechts) mit der Folge ereignet hat, dass dem Antragsgegner zu 1) eine längere Reaktionszeit verblieben wäre.

Da – wie dargelegt – keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Sachverständige C. bei der Erstattung seines Gutachtens von falschen Voraussetzungen ausgegangen ist, kann dieses Gutachten auch dem Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren zugrunde gelegt werden. Dies bedeutet, dass keine hinreichende Aussicht besteht, dass die Antragstellerin den Antragsgegnern eine schuldhafte Verursachung des bedauerlichen Verkehrsunfalls durch den Antragsgegner zu 1) nachweisen kann. Denn auf der Basis des Gutachtens des Sachverständigen C. lässt sich – wie oben bereits aufgezeigt – ein unfallursächliches verkehrswidriges Verhalten des Antragsgegners zu 1) nicht feststellen.

Somit haften die Antragsgegner nach § 7 Abs. 1 StVG lediglich für die Betriebsgefahr, die von dem vom Antragsgegner zu 1) geführten Pkw ausging. Diese Haftung tritt unter den hier vorliegenden Umständen jedoch ausnahmsweise vollständig hinter dem groben Eigenverschulden des Vaters der Antragstellerin an der Kollision zurück (ebenso im Falle einer sorglosen Fahrbahnüberquerung durch einen Fußgänger: KG DAR 2004, 6: Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 8. Aufl., Rz. 413). Ein derartiges Zurücktreten der Betriebsgefahr kommt auch nach der zum 1.8.2002 in Kraft getretenen Änderung des § 7 Abs. 2 StVG weiterhin in Betracht (vgl. Lemcke, zfs 2002, 318 [324]).

Der Verkehrsunfall ist hier im Wesentlichen durch das eigene grob verkehrswidrige Verhalten des Herrn V. verursacht worden. Er hat die A.-straße in B. überquert, ohne in ausre...

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