Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Zulässigkeit der Auslieferung eines Ausländers an einen anderen EU-Mitgliedstaat ungeachtet eines laufenden Asylverfahrens wegen geltend gemachter Verfolgung in einem Drittstaat. Strafprozessrecht. Europäischer Haftbefehl. Auslieferung. laufendes Asylverfahren

 

Leitsatz (amtlich)

Im Rahmen der Entscheidung über die Auslieferung einer verfolgten Person an einen anderen EU-Mitgliedstaat bedarf es grundsätzlich keiner Heranziehung der in Deutschland oder in einem anderen EU-Mitgliedstaat geführten Akten eines Asylverfahrens wegen der geltend gemachten Verfolgung in einem Drittstaat.

 

Normenkette

IRG §§ 3, 15 Abs. 2, §§ 29, 32, 73, 81, 83a Abs. 1, § 83b

 

Tenor

Die Auslieferung des Verfolgten A. an die Republik Österreich zum Zwecke der Strafverfolgung wegen der in dem Europäischen Haftbefehl der Staatsanwaltschaft Graz vom 14.05.2018 (Az.: ...) aufgeführten Taten wird für zulässig erklärt.

 

Gründe

I.

Die österreichischen Justizbehörden ersuchen mit dem Europäischen Haftbefehl der Staatsanwaltschaft Graz vom 14.05.2018 (Az.: ...) um die Auslieferung des Verfolgten an die Republik Österreich zum Zwecke der Strafverfolgung. Die Tathandlungen, die dem Verfolgten zur Last gelegt werden, werden in dem Europäischen Haftbefehl wie folgt beschrieben:

Dem Verfolgten wird zur Last gelegt, am Abend des 25.06.2017 im ... in Graz im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit drei weiteren Personen (...) den Geschädigten B. geschlagen und getreten zu haben, wobei es im Zuge dieser Gewaltanwendung zur Wegnahme von fremden beweglichen Sachen, nämlich eines Mobiltelefons und einer Geldbörse, gekommen sei, um sich unrechtmäßig zu bereichern.

Am 04.06.2018 hat das Amtsgericht Bremen gegen den Verfolgten eine Festhalteanordnung erlassen. Bei seiner richterlichen Vernehmung hat sich der Verfolgte mit einer Auslieferung im vereinfachten Verfahren nicht einverstanden erklärt. Der Senat hat am 12.06.2018 auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Bremen, zu dem der Beistand des Verfolgten mit Schriftsatz vom 08.06.2018 Stellung genommen hatte, einen Auslieferungshaftbefehl erlassen.

Die Generalstaatsanwaltschaft Bremen hat am 05.06.2018 die Anordnung der Auslieferungshaft beantragt. Der Beistand des Verfolgten hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.

II.

Da der Verfolgte sich mit seiner Auslieferung nicht einverstanden erklärt hat, hatte der Senat gemäß den §§ 29, 32 IRG über die Zulässigkeit der Auslieferung zu befinden.

Diese war in Übereinstimmung mit dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Bremen auszusprechen, da die Auslieferung zulässig ist. Der Senat hat am 12.06.2018 einen Auslieferungshaftbefehl erlassen. An der bereits im Auslieferungshaftbefehl im Rahmen des § 15 Abs. 2 IRG vorgenommenen Beurteilung der Zulässigkeit der Auslieferung des Verfolgten an die Republik Österreich hat sich nichts geändert.

1. Mit dem Europäischen Haftbefehl der Staatsanwaltschaft Graz vom 14.05.2018 wird den Anforderungen des § 83a Abs. 1 IRG genügt. Weiterer Auslieferungsunterlagen wie sonst nach § 10 IRG bedarf es bei Vorliegen eines Europäischen Haftbefehls nicht.

2. Die Erfordernisse des § 3 IRG unter Berücksichtigung der Maßgaben nach § 81 IRG sind erfüllt.

Zum Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit nach § 3 Abs. 1 IRG gilt, dass die vorgeworfene Tat auch nach deutschem Recht als gemeinschaftlicher Raub nach den §§ 249 Abs. 1, 25 Abs. 2 StGB i.V.m. §§ 1, 3 ff. JGG strafbar wäre.

Ferner ist eine Auslieferung zur Verfolgung nach §§ 3 Abs. 2 i.V.m. 81 Nr. 1 IRG nur dann zulässig, wenn die Tat nach dem Recht des ersuchenden Mitgliedstaates mit einer Freiheitsstrafe oder sonstigen Sanktion im Höchstmaß von mindestens zwölf Monaten bedroht ist: Nach österreichischem Recht ist der dem Verfolgten vorgeworfene gemeinschaftliche Raum mit Freiheitsstrafe von höchstens 5 Jahren bedroht (siehe § 142 Abs. 1 österreichisches StGB i.V.m. § 5 Ziff. 4 österreichisches JGG).

3. Die §§ 5, 6 Abs. 1, 7 sowie 11 IRG finden aufgrund des § 82 IRG keine Anwendung. Für eine Unzulässigkeit der Auslieferung aufgrund des § 6 Abs. 2 IRG liegen in Bezug auf eine Auslieferung an die Republik Österreich keine Anhaltspunkte vor. Auch aus den §§ 8, 9, 9a sowie 83 IRG ergeben sich im vorliegenden Fall keine Zulässigkeitshindernisse.

4. Die Auslieferung erscheint auch unter Berücksichtigung der Regelung des § 73 IRG nicht als von vornherein unzulässig: Nach § 73 S. 1 IRG ist die Leistung von Rechtshilfe im Rahmen der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls unzulässig, wenn dies im Widerspruch zu den Grundsätzen in Art. 6 des Vertrages über die Europäische Union (EUV) stünde, welcher auf die Europäische Grundrechtecharta verweist.

Die familiären Bindungen des Verfolgten zu seiner sich derzeit in Deutschland aufhaltenden Familie können dabei der Zulässigkeit der Auslieferung grundsätzlich nicht entgegenstehen: Der Grundsatz des Schutzes von Ehe und Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG bietet Ausländern, die wegen einer schweren Straftat von einem anderen Staat gesucht wer...

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