Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzung der Anordnung von Auslieferungshaft gegen nichtdeutsche Unionsbürger. Ausländerrecht. Anordnung von Auslieferungshaft gegen nichtdeutsche Unionsbürger. hinreichend gefestigte familiäre oder soziale Bindungen. Resozialisierungschancen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei nichtdeutschen Unionsbürgern, die im Inland ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, hat sich die Geltendmachung von Bewilligungshindernissen bei der Auslieferung zum Zwecke der Strafvollstreckung an den Grundsätzen der Nichtdiskriminierung gem. Art. 18 AEUV und der Unionsbürgerschaft gem. Art. 20 AEUV zu orientieren.

2. Die schutzwürdigen Interessen des Verfolgten an einer Vollstreckung im Inland überwiegen, wenn sich nach der umfassenden Abwägung seiner persönlichen Belange ergibt, dass seine Resozialisierungschancen hierdurch erhöht werden.

3. Die Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft, keine Bewilligungshindernisse geltend zu machen, unterliegt bereits im Haftanordnungsverfahren gem. § 15 IRG der Überprüfung durch das Oberlandesgericht.

 

Tenor

1. Der Antrag auf Anordnung der Auslieferungshaft wird abgelehnt.

2. Der Verfolgte ist unverzüglich zu entlassen.

3. Die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung des Verfolgten an die Republik Polen wird zurückgestellt.

4. Die Akten werden zur erneuten Entschließung über die beabsichtigte Geltendmachung von Bewilligungshindernissen an die Generalstaatsanwaltschaft Bremen zurückgegeben.

 

Gründe

I.

Die polnischen Justizbehörden ersuchen mit dem Europäischen Haftbefehl vom 24.01.2013 (Az.: III Kop 4/13) um die Auslieferung des Verfolgten nach Polen zum Zwecke der Strafvollstreckung. Nach dem Inhalt des Europäischen Haftbefehls ist er am 02.03.2009 durch das Amtsgericht B. [...] im Verfahren II K 230/08 in Anwesenheit zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden, wovon noch ein Strafrest von einem Jahr elf Monaten und 18 Tagen zu vollstrecken ist. Nach den Angaben im Europäischen Haftbefehl ist der Verfolgte wegen Betruges verurteilt worden. Er hat am 15.02.2008 im Rahmen einer Internetauktion eine Wanduhr zum Preis von 190 PLN verkauft und diesen Betrag am 19.02.2008 von der Geschädigten überwiesen bekommen. Diese hat im Gegenzug eine beschädigte, der Beschreibung des Kaufgegenstandes nicht entsprechende Kunststoffuhr im Wert von 22 PLN erhalten.

Der Verfolgte wurde am 04.09.2013 in Bremen unter seiner Wohnanschrift vorläufig festgenommen. Noch am selben Tag hat das Amtsgericht Bremen gegen den Verfolgten eine Festhalteanordnung erlassen. Anschließend wurde er in die Justizvollzugsanstalt [...] eingeliefert. Bei seiner Vernehmung durch den Vorermittlungsrichter hat sich der Verfolgte mit seiner Auslieferung im vereinfachten Verfahren nicht einverstanden erklärt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit beim Senat am 05.09.2013 eingegangenen Schriftsatz vom 04.09.2013 beantragt,

1. gegen den Verfolgten gemäß §§ 15, 17 IRG die Auslieferungshaft anzuordnen und

2. die Auslieferung des Verfolgten an die Republik Polen gemäß §§ 29 Abs. 1, 32 IRG zur Vollstreckung eines Strafrestes von einem Jahr elf Monaten und 18 Tagen der durch Urteil des Amtsgerichts Belchatów vom 02.03.2009 - II K 230/08 - verhängten Freiheitsstrafe von zwei Jahren für zulässig zu erklären.

In ihrem Antrag hat die Generalstaatsanwaltschaft die nach § 79 Abs. 2 IRG obligatorische Erklärung abgegeben, dass beabsichtigt sei, kein Bewilligungshindernis nach § 83b IRG geltend zu machen.

Hierzu hat sie ausgeführt, der Verfolgte habe kein überwiegendes schutzwürdiges Interesse an einer Strafvollstreckung im Inland (§ 83b Abs. 2 Buchst. b IRG).

Ein überwiegendes Interesse an einer Strafvollstreckung in der Bundesrepublik Deutschland könne nur angenommen werden, wenn die Vollstreckung im Ausland für den Verfolgten eine besondere Härte darstellen würde. Es müssten Umstände vorliegen, aufgrund derer die Vollstreckung im Ausland für den ausländischen Verfolgten die gleiche Härte darstellte wie für einen Deutschen, der eine Strafe im Ausland zu verbüßen habe. Berücksichtigungsfähig seien neben besonderen persönlichen Bindungen in Deutschland auch Schwierigkeiten, die sich aus der Konfrontation mit einer fremden Rechtsordnung oder einem Vollzug in einem ausländischen Gefängnis ergeben könnten.

Im Hinblick auf diese Voraussetzungen kommt die Generalstaatsanwaltschaft zu dem Schluss, dass von besonderen Bindungen in Deutschland oder einer besonderen Härte bei einer Strafvollstreckung in Polen bei dem Verfolgten nicht die Rede sein könne. Er habe, soweit bekannt, in Deutschland engere soziale Bindungen nur zu seiner Ehefrau und seinen Kindern, die ebenfalls polnische Staatsangehörige seien. Er sei in Polen aufgewachsen und erst vor knapp vier Jahren nach Deutschland gekommen, also mit der polnischen Rechtsordnung viel besser vertraut als mit der deutschen und bis heute in Polen geschäftlich tätig. Der Verfolgte beherrsche nur die polnische Sprache, so dass auch insofern der deutsche Strafvollzug für ihn viel schwieri...

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