Entscheidungsstichwort (Thema)

Rückzahlung der Umsatzsteuer für die Abgabe von Zytostatika bei ambulanter Krankenhausbehandlung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Hat das Krankenhaus in der Berechnung der individuellen Herstellung der Zytostatika im Rahmen einer ambulanten Behandlung die Umsatzsteuer ausgewiesen, kann darin eine Nettopreisabrede gesehen werden, weil das Krankenhaus mit der Rechnungslegung sein Leistungsbestimmungsrecht nach §§ 315 ff. BGB ausübt.

2. Eine solche Nettopreisabrede ist nicht dahingehend auszulegen, dass der Leistungsempfänger bereit und verpflichtet ist, den Nettopreis zuzüglich der tatsächlich festgesetzten Umsatzsteuer zu zahlen (entgegen BSG, Urt. v. 03.03.2009 - B 1 KR 7/08 - NZS 2010, 154, Tz.15 f.). Richtigerweise ist die Nettopreisabrede dahingehend auszulegen, dass neben dem Nettopreis die auf die Lieferung anfallende Umsatzsteuer geschuldet ist.

3. Ist die Umsatzsteuer entgegen der Annahme der Vertragsparteien nicht geschuldet, fehlt für die Zahlung des Umsatzsteuerbetrages der rechtliche Grund, so dass der Leistungsempfänger und damit auch seine private Krankenversicherung vom Krankenhaus die Rückzahlung dieses Betrages nach § 812 Abs. 1 S. 1, Alt. 1 BGB verlangen kann.

4. Das Krankenhaus trifft dabei die vertragliche Nebenpflicht, § 241 Abs. 2 BGB, die Rechnungen im Hinblick auf die zu Unrecht erhobene Umsatzsteuer zu berichtigen.

5. Das Krankenhaus kann sich auf Entreicherung aufgrund der Weiterleitung der Umsatzsteuerbeträge nur berufen, wenn sein Erstattungsanspruch gegenüber dem Fiskus praktisch wertlos ist, was der Fall ist, wenn der Anspruch uneinbringlich oder seine Durchsetzung nach den Umständen zumindest äußerst schwierig ist.

 

Normenkette

BGB § 86 Abs. 1, § 241 Abs. 2, §§ 316, 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1, § 818 Abs. 3; VVG § 194 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Göttingen (Urteil vom 21.09.2017; Aktenzeichen 12 O 58/16)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 21.09.2017 - Az.: 12 O 58/16 - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

5. Der Wert des Streitgegenstandes im Berufungsrechtszug wird auf 26.780,26 EUR festgesetzt.

 

Gründe

A. Die Klägerin macht aus übergangenem Recht Rückzahlung von Umsatzsteuerbeträgen für die Abgabe von individuell hergestellter Zytostatika geltend.

Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes und der Anträge erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (LGU Seiten 2 R - 7, Bl. 119 R ff. d. A.) Bezug genommen.

Das Landgericht hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben und ausgeführt, dass der Klägerin gegen die Beklagte ein Anspruch auf Rückzahlung der streitgegenständlichen Umsatzsteuerbeträge aus § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB i. V. m. §§ 86 Abs. 1, 194 Abs. 2 VVG zustehe. Der Rückforderungsanspruch der Versicherungsnehmer der Klägerin (nachfolgend: Versicherungsnehmer) sei auf diese übergegangen. Die Beklagte habe infolge der Entrichtung der Umsatzsteuer durch die Versicherungsnehmer einen vermögenswerten Vorteil und damit "etwas" erlangt. Es sei unerheblich, dass dies für die Beklagte ein "Durchlaufposten" gewesen sei, da sie im Rechtsverhältnis zu den Versicherungsnehmern die gezahlte Umsatzsteuer erlangt habe. Die Weiterleitung dieser Beträge durch die Beklagte an das Finanzamt sei im Verhältnis der Beklagten zu den Versicherungsnehmern unerheblich. Auf zivilrechtlicher Ebene habe die Beklagte eine Vermögensmehrung durch eine Leistung der Versicherungsnehmer erfahren. Die Leistung sei ohne Rechtsgrund erfolgt. Der rechtliche Grund ergebe sich nicht aus der In-Rechnung-Stellung der Umsatzsteuer seitens der Beklagten. Zwar schulde der Unternehmer dem Fiskus nach § 14 c Abs. 1 UStG auch den Mehrbetrag, wenn er einen höheren Steuerbetrag als nach dem Gesetz geschuldet gesondert ausweise. Dies gelte aber nur im Verhältnis zwischen dem Rechnungsaussteller und der Finanzverwaltung. Es liege auch kein sonstiger vertraglicher Rechtsgrund für die Umsatzsteuerzahlung der Versicherungsnehmer an die Beklagte vor. Der Medikamentenerwerbsvertrag sei so auszulegen, dass die Leistungsempfänger zur Zahlung der Umsatzsteuer nur insoweit verpflichtet gewesen seien, als der Leistende einen steuerbaren Umsatz gehabt habe. Auch sei die privatärztliche Vereinbarung zwischen den Versicherungsnehmern und der Beklagten so auszulegen, dass es im Interesse der Versicherungsnehmer gelegen habe, nicht mit unnötigen Steuern belastet zu werden. Es sei auch kein schutzwürdiges Interesse der Beklagten erkennbar, eine vermeidbare Steuerbelastung an die Versicherungsnehmer weite...

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