Entscheidungsstichwort (Thema)

Bauvertrag: Anspruch des Bauunternehmers auf Vertragsanpassung nach seiner nachträglichen Heranziehung zur Zahlung der Umsatzsteuer

 

Leitsatz (amtlich)

1. Wird der Bauunternehmer gemäß § 27 Abs. 19 UStG aufgrund der Änderung der Verwaltungspraxis nachträglich zur Zahlung der Umsatzsteuer herangezogen, liegt darin eine Änderung der Geschäftsgrundlage des Bauvertrages.

2. Resultiert die Verpflichtung des Bauunternehmens zur Zahlung der Umsatzsteuer entsprechend § 27 Abs. 19 UStG daraus, dass der ursprüngliche Umsatzsteuerschuldner die Erstattung der von ihm aufgrund der früheren Verwaltungspraxis entrichteten Umsatzsteuer gefordert hat, so steht dem Bauunternehmer ein Anspruch auf Vertragsanpassung gemäß § 313 Abs. 1 BGB zu, weil ihm das Festhalten am ursprünglichen Bauvertrag nicht zumutbar ist. Ein Anspruch nach den Grundsätzen der ergänzenden Vertragsauslegung kommt hingegen nicht in Betracht, da die vertragliche Regelung insoweit keine Lücke aufweist (entgegen OLG Köln NJW 2017, 677).

3. Der Anspruch auf Vertragsanpassung und damit auf Zahlung des Umsatzsteuerbetrages steht in der Insolvenz des Bauunternehmers auch dem Insolvenzverwalter zu, solange Insolvenzmasse vorhanden ist, aus der Insolvenzgläubiger befriedigt werden können.

 

Normenkette

BGB § 313 Abs. 1; UStG § 27 Abs. 19

 

Verfahrensgang

LG Göttingen (Urteil vom 29.05.2017; Aktenzeichen 8 O 289/16)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 29.05.2017 - Az.: 8 O 289/16 - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das angefochtene Urteil und dieses Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

5. Der Wert des Streitgegenstandes im Berufungsrechtszug wird auf 24.236,78 EUR festgesetzt.

 

Gründe

A. Der Kläger macht als Partei kraft Amtes die Nachzahlung der Umsatzsteuer aus mehreren Werkverträgen geltend.

Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes und der Anträge erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (LGU Seiten 2 - 3, Bl. 48 f. d. A.) Bezug genommen.

Das Landgericht hat ausgeführt, dass dem Kläger gegen die Beklagte ein weiterer Vergütungsanspruch aus § 631 Abs. 1 BGB zustehe. Die Frage, ob aufgrund der hier streitgegenständlichen steuerrechtlichen Entwicklungen ein weiterer Vergütungsanspruch im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zuzusprechen sei, werde in der Rechtsprechung nicht einheitlich beurteilt. Während das LG Düsseldorf im Urteil vom 05.02.2016 (33 O 86/15) einen solchen Anspruch verneine, bejahe das OLG Köln (Urteil vom 04.08.0216 - 7 U 177/15 -, NJW 2017, 677) in einer vergleichbaren Konstellation einen weiteren Vergütungsanspruch im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung. Danach sei vom beiderseitigen Irrtum der Vertragspartner über die Frage, wer gegenüber dem Finanzamt die Umsatzsteuer schulde, auszugehen. Die vertragliche Regelung sei nicht geeignet, den erstrebten wirtschaftlichen Zweck zu erreichen, so dass eine ausfüllungsbedürftige Lücke vorhanden sei. Es sei daher zu ermitteln, was die Parteien redlicherweise vereinbart hätten, wenn sie den offen gebliebenen Punkt bedacht hätten. Das Gericht schließe sich den Erwägungen des OLG Köln an, während die Sichtweise des LG Düsseldorf zur Frage einer Lücke im Vertrag zu formalistisch erscheine. Hinzukomme, dass die Parteien vorliegend keine ausdrückliche Regelung zu der Frage getroffen hätten, wer die Umsatzsteuer an das Finanzamt abzuführen habe, sondern lediglich eine Vereinbarung einer Netto-Vergütung der Insolvenzschuldnerin. Da hier nur das Verhältnis der Parteien des Werkvertrages zu beurteilen sei, sei es nicht entscheidend, dass der Kläger aufgrund der Besonderheiten des Insolvenzverfahrens die Umsatzsteuer nicht vollständig an das Finanzamt weiterzuleiten habe.

Gegen dieses der Beklagten am 31.05.2017 zugestellte Urteil hat sie mit Schriftsatz vom 08.06.2017, eingegangen beim Oberlandesgericht Braunschweig am selben Tag, Berufung eingelegt, die sie mit Schriftsatz vom 31.07.2017, ebenfalls beim Oberlandesgericht am selben Tag eingegangen, begründet hat. Der Kläger hat gegen das Urteil des Landgerichts Göttingen mit Schriftsatz vom 23.06.2017 Anschlussberufung eingelegt und begründet.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass dem Kläger kein Anspruch aus § 313 BGB oder nach den Grundsätzen der ergänzenden Vertragsauslegung gegen die Beklagte zustehe. Die nachträgliche Inanspruchnahme des Bauleistenden - hier der Insolvenzschuldnerin - durch das Finanzamt wegen der Umsatzsteuer sei rechtswidrig. Dies folge aus dem gebotenen Vertrauensschutz und der Unverhältnismäßigkeit der Inanspruchnahme, wobei die maßgebliche Entscheidung des BFH vom 23.02.2017 einem Zi...

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