Verfahrensgang

LG Braunschweig (Aktenzeichen 11 O 4009/19 (662))

 

Gründe

I. Der Schriftsatz des Klägers vom 10.05.2023 gibt Anlass, den Hinweis vom 08.05.2023 zu ergänzen.

Dem Kläger steht weiter kein Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV wegen Verstoßes gegen die Vorschriften zur Übereinstimmungsbescheinigung wegen des Einsatzes eines - hier unterstellt unzulässigen -Thermofensters zu. Selbst, wenn ein Schutzgesetzcharakter der §§ 6, 27 EG-FGV sowie ein (objektiver) Verstoß gegen diese Vorschriften zu bejahen wäre, wäre eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6, 27 EG-FGV jedenfalls wegen eines unvermeidbaren Verbotsirrtums ausgeschlossen. Dies folgt daraus, dass die Beklagte i.S. eines fehlenden Bewusstseins der Rechtswidrigkeit nach wie vor die Ansicht vertritt, es liege keine unzulässige Abschalteinrichtung vor, und das Kraftfahrtbundesamt das Thermofenster bei einer Nachfrage nicht als unzulässig eingestuft hätte.

Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung schließt in Fällen, in denen das verletzte Schutzgesetz selbst eine Straf- oder Ordnungswidrigkeitennorm ist oder der Verstoß gegen das Schutzgesetz gleichzeitig einen Straf- oder einen Ordnungswidrigkeitentatbestand erfüllt, ein unvermeidbarer Verbotsirrtum eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB aus (vgl. BGH, Urteil vom 27. Juni 2017 - VI ZR 424/16, Rn. 10, 16, juris; BGH, Urteil vom 16. Mai 2017 - VI ZR 266/16, Rn. 17, juris; BGH, Urteil vom 16. Juni 2020 - VI ZR 253/19, Rn. 17, juris). Begründet wird dies damit, dass die Anwendung der im Zivilrecht geltenden Vorsatztheorie, nach der Vorsatz auch das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit erfordert (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juli 1984 - VI ZR 222/82, Rn. 14, juris; BGH, Urteil vom 15. Mai 2012 - VI ZR 166/11, Rn. 22, juris; BGH, Urteil vom 16. Mai 2017 - VI ZR 266/16, Rn. 16, juris; Staudinger/J Hager (2021) BGB § 823 Rn. G 38), zu einem Wertungswiderspruch zum Strafrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht führen würde, in dem die Schuldtheorie gilt, nach der ein Verbotsirrtum die Vorwerfbarkeit nur entfallen lässt, wenn er unvermeidbar war (vgl. § 17 S. 1 StGB oder § 11 Abs. 2 OWiG). Denn für die zivilrechtliche Bewertung eines Verstoßes gegen das Schutzgesetz wäre nach der Vorsatztheorie bei einem fehlenden Bewusstsein der Rechtswidrigkeit eine zivilrechtliche Haftung auch in Fällen zu verneinen, in denen sich der Täter nach der strafrechtlichen Schuldtheorie nicht auf einen Verbotsirrtum berufen kann, weil dieser vermeidbar war (vgl. dazu BGH, Urteil vom 10. Juli 1984 - VI ZR 222/82, Rn. 14, juris; BGH, Urteil vom 15. Mai 2012 - VI ZR 166/11, Rn. 22, juris). Zur Auflösung dieses Widerspruchs müssen in diesen Fällen für die Beurteilung der Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB die auf der Schuldtheorie beruhenden Grundsätze des Verbotsirrtums auch im Zivilrecht gelten. Für das Vorliegen eines die Haftung ausschließenden unvermeidbaren Verbotsirrtums ist dabei der Anspruchsgegner beweispflichtig (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 2017 - VI ZR 266/16, Rn. 18, juris; BGH, Urteil vom 10. Dezember 2019 - VI ZR 71/19, Rn. 20, juris; ebenso BGH, Urteil vom 27. Juni 2017 - VI ZR 424/16, Rn. 16, juris).

Diese Grundsätze kommen im vorliegenden Fall zur Anwendung, weil nach § 37 EG-FGV ein Verstoß gegen § 27 EG-FGV eine Ordnungswidrigkeit darstellt mit der Folge, dass dieser Verstoß ordnungswidrigkeitsrechtlich den Regeln des Verbotsirrtums nach § 11 OWiG unterworfen wird.

Bzgl. des Thermofensters kann sich die Beklagte nach diesen Grundsätzen mit Erfolg auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum berufen.

Die Frage der Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums nach § 11 Abs. 2 OWiG richtet sich nach den Grundsätzen des Verbotsirrtums im Strafrecht (vgl. KK-OWiG/Rengier, 5. Aufl. 2018, OWiG § 11 Rn. 57). Unvermeidbar ist ein Verbotsirrtum danach, wenn der Täter alle seine geistigen Erkenntniskräfte eingesetzt und etwa aufkommende Zweifel durch Nachdenken oder erforderlichenfalls durch Einholung eines verlässlichen und sachkundigen Rechtsrats unrechtsverneinenden Inhalts beseitigt hat, wobei auch die Auskunftsperson selbst verlässlich sein muss (vgl. BGH, Urteil vom 11. Oktober 2012 - 1 StR 213/10 BGHSt 58, 15-32, Rn. 70, juris, m.w.N.; KK-OWiG/Rengier, 5. Aufl. 2018, OWiG § 11 Rn. 57-59). Eine Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums ist auch dann zu bejahen, wenn der Täter zwar keine Erkundigung eingeholt hat, aber auch keinen Anlass hatte, über die rechtliche Qualität seines Verhaltens nachzudenken oder sich zu informieren (vgl. KK-OWiG/Rengier, 5. Aufl. 2018, OWiG § 11 Rn. 63). Hat der Täter die grundsätzlich erforderliche Einholung von Auskünften unterlassen, liegt dennoch ein unvermeidbarer Verbotsirrtum vor, wenn die unterbliebene Erkundigung, wäre sie erfolgt, einen unrechtsverneinenden Inhalt gehabt hätte (vgl. BGH, Urteil vom 7. April 2016 - 5 StR 332/15, Rn. 22, juris; BGH, Urteil vom 27. Juni 2017 - VI ZR 424/16, Rn. 16, juris), weshalb ein unvermeidbarer Verbotsirrtum auch dann zu bejahen ist, wenn e...

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