Leitsatz (amtlich)

Auch in den Fällen einer falschen Adressierung der Verteidigungsanzeige hat der Betroffene seiner Anzeigepflicht Genüge getan, wenn bei unverzüglicher Weiterleitung der Anzeige an das zuständige Gericht die rechtzeitige Ladung des Verteidigers noch möglich gewesen wäre. Wird die Verteidigungsanzeige unbeachtet abgeheftet, kann dies nicht zu Lasten des Angeklagten gehen. Bleibt dieser infolgedessen einem Verhandlungstermin fern, so ist sein Nichterscheinen als entschuldigt anzusehen.

 

Verfahrensgang

LG Braunschweig (Entscheidung vom 18.02.2009; Aktenzeichen 7 Ns 571/08)

 

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 18. Februar 2009 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts Braunschweig zurückverwiesen.

 

Gründe

Die zulässige Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache.

I.

Das Amtsgericht Braunschweig hat den Angeklagten am 20. August 2008 wegen fahrlässigen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von 2 Monaten unter Vollstreckungsaussetzung zur Bewährung verurteilt.

Die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Braunschweig am 18. Februar 2009 gemäß § 329 Abs. 1 S. 1 StPO in Abwesenheit des nicht zum Hauptverhandlungstermin geladenen Verteidigers verworfen. Hierzu stellt die Berufungskammer in ihrem Urteil fest, der Angeklagte habe zwar rechtzeitig Berufung gegen das amtsgerichtliche Urteil eingelegt, sei jedoch in dem Termin zur Berufungshauptverhandlung trotz nachgewiesener Ladung ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben und auch nicht in zulässiger Weise vertreten worden. Die Übernahme der Verteidigung sei dem Landgericht erst am 17. Februar 2009 angezeigt worden. Gegenüber dem Amtsgericht habe der Verteidiger zwar am 6. Januar 2009 eine Vertretung des Angeklagten angezeigt, diese sei aber an die Staatsanwaltschaft Braunschweig weitergeleitet und erst am Tag der Berufungsverhandlung in der Handakte der Staatsanwaltschaft aufgefunden worden.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die zulässige Revision ist begründet.

1.

Zwar hat der Angeklagte die Sachrüge erhoben, obwohl das Verwerfungsurteil nach § 329 Abs. 1 StPO ein Prozessurteil und als solches grundsätzlich mit der Verfahrensrüge anzugreifen ist (vgl. Löwe/Rosenberg-Gössel, StPO, 25. Aufl. 2003, § 329, Rn. 97 ff.; Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl. 2009, § 329, Rn. 48). Entscheidend ist allerdings nicht der Wortlaut, sondern der Sinn der Rüge ( BGHSt 19, 273, 275 ). Die Begründung ist so auszulegen, dass der mit der Revision angestrebte Erfolg eintreten kann ( BGH NJW, 1956, 756).

Es ist daher ausreichend, wenn der Sachvortrag zugleich die zur Begründung der Verfahrensrüge notwendigen Tatsachen enthält (Löwe/Rosenberg-Gössel, a.a.O., Rn. 99; Meyer-Goßner, a.a.O., Rn. 49).

Die vom Angeklagten erhobene Rüge ist als Verfahrensrüge noch ausreichend ausgeführt worden. An die Zulässigkeit der gegen ein nach § 329 Abs. 1 StPO ergangenes Verwerfungsurteil gerichteten Verfahrensrüge werden keine strengen Anforderungen gestellt, zumal das Revisionsgericht an die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils, die in der Revisionsbegründung nicht wiederholt zu werden brauchen, gebunden ist (vgl. OLG Hamm, NStZ-RR 2000, 84, 85; OLG Düsseldorf, Beschl. vom 19. September 1989 - 5 Ss 352/89 -, Rn. 5, zitiert nach [...]). Die Revisionsbegründung lässt im Zusammenhang mit dem Urteil erkennen, dass Gründe vorliegen, die dazu führen, dass das Gericht das Ausbleiben des Angeklagten nicht als unentschuldigt ansehen durfte. Jedenfalls dem Gesamtzusammenhang der Revisionsbegründung ist zu entnehmen, dass spätestens einen Tag vor dem anberaumten Termin eine Kommunikation zwischen dem Angeklagten und dem Verteidiger stattgefunden hat, als dieser - ungeladen - noch Kenntnis von dem Termin erlangte. Darauf deuten insbesondere auch die Ausführungen hin, wonach der Verteidiger im Fall eines Hinweises des Landgerichts, den Termin nicht verlegen zu wollen, den Angeklagten hierüber informieren und, wegen seiner eigenen Verhinderung, einen Kollegen als Vertreter hätte entsenden können. Dies impliziert, dass der Angeklagte dann - im Bewusstsein, dem Gericht nicht ohne Verteidiger gegenüber zu stehen - den Termin doch noch wahrgenommen hätte.

2.

Die Revision ist begründet

Das Gericht durfte nicht vom Fehlen einer ausreichenden Entschuldigung des Angeklagten ausgehen. Ein Entschuldigungsgrund fehlt nicht schon deshalb, weil der Angeklagte diesen nicht rechtzeitig geltend gemacht hat, obwohl er dazu in der Lage gewesen wäre ( OLG Düsseldorf, NStZ 84, 331; Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl. 2009, § 329, Rn. 18). Die Entschuldigung kann sich aus den Akten, au...

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