Entscheidungsstichwort (Thema)

Erschleichung eines Aufenthaltstitels

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei der Ersatzzustellung an den Leiter einer Gemeinschaftseinrichtung oder einen dazu ermächtigten Vertreter nach § 37 Abs. 1 StPO, § 178 Abs. 1 Nr. 1 Nr. 3 ZPO ist es nicht erforderlich, dass der Zusteller den Adressaten in seinem Zimmer persönlich aufsucht.

2. Sprachunkundige Ausländer, die ein amtliches Schriftstück in deutscher Sprache erhalten und dessen Inhalt nicht verstehen, sind i.d.R. gehalten, sich um eine Übersetzung oder Erläuterung zu bemühen.

3. Ist ein ordnungsgemäß geladener Angeklagter zur Verhandlung über seine Berufung nicht erschienen, darf sein Rechtsmittel nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO regelmäßig erst nach einer Wartezeit von 15 Minuten verworfen werden. Längere Wartepflichten können sich im Einzelfall ergeben, wenn der Angeklagte dem Gericht innerhalb der Wartezeit mitgeteilt hat, dass er sich verspäten, aber noch innerhalb angemessener Zeit erscheinen werde oder dies aus anderen Umständen ersichtlich ist.

 

Tenor

I. Dem Beschwerdeführer wird auf seinen Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung einer formgerechten Verfahrensrüge gewährt.

II. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts R. vom 24. März 2009 wird als unbegründet verworfen.

III. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die Kosten der Wiedereinsetzung zu tragen.

 

Gründe

I. Das Amtsgericht C. verurteilte den Beschwerdeführer am 27.11.2008 wegen Erschleichung eines Aufenthaltstitels und unerlaubten Aufenthalts zu einer Gesamtgeldstrafe von 150 Tagessätzen zu je einem Euro. Seine hiergegen eingelegte Berufung wurde vom Landgericht R. am 24.3.2009 ohne Verhandlung zur Sache verworfen, weil der Beschwerdeführer zur Berufungshauptverhandlung nicht erschienen war. Wenige Minuten vor der Terminsstunde hatte der Beschwerdeführer aus den Diensträumen des Amtsgerichts C. bei dem Landgericht R. angerufen und mitgeteilt, dass er sich dort befinde und kein Geld für eine Fahrkarte nach R. habe. Außerdem verstehe er nicht ausreichend deutsch. Das Verwerfungsurteil erging nach einer Wartezeit von 17 Minuten. Mit seiner Revision stellt der Beschwerdeführer eine ordnungsgemäße Ladung in Abrede und behauptet, das Landgericht habe bei seiner Entscheidung den Begriff des Verschuldens nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO verkannt. Auch sei die Kammer gehalten gewesen, eine längere Zeit zu warten und eine weitere Aufklärung zu betreiben. Außerdem hat er beantragt, ihm Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zur Nachholung der Rüge einer fehlenden ordnungsgemäßen Ladung zu gewähren. Die Generalstaatsanwaltschaft N. ist dem Wiedereinsetzungsantrag nicht entgegen getreten. Die Revision hält sie für offensichtlich unbegründet und hat ihre Verwerfung beantragt.

II. Die zulässige Revision (§§ 333, 341 Abs. 1, 344, 345 SPO) ist offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Die nach der insoweit zu gewährenden Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zulässige Rüge des Beschwerdeführers, er sei zur Hauptverhandlung vor dem Landgericht R. am 24.3.2009 nicht ordnungsgemäß geladen worden, ist nicht begründet.

a) Wird gegen ein Verwerfungsurteil gemäß § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO eine Revision mit der Begründung eingelegt, dass die Voraussetzungen für dessen Erlass nicht vorgelegen haben, ist eine den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechende Verfahrensrüge zu erheben (BGH, NJW 1987, 1776; KG, NStZ 2009, 111 f.; Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., § 329 Rdn. 48). Der Beschwerdeführer hat mit Schriftsatz vom 25.9.2009 eine ordnungsgemäße Ladung in Abrede gestellt und zur Begründung ausgeführt, dass die in dem Zustellungsnachweis beurkundete Ersatzzustellung durch Einlegung in einen Briefkasten gemäß § 180 ZPO nicht ordnungsgemäß stattgefunden haben kann, weil in der von ihm bewohnten Gemeinschaftsunterkunft keine entsprechenden Briefkästen vorhanden seien. Dieses Vorbringen genügt inhaltlich den an eine ordnungsgemäße Verfahrensrüge zu stellenden Anforderungen. Die Tatsache, dass entgegen § 344 Abs. 1 StPO keine Revisionsanträge gestellt worden sind, stellt die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht in Frage, weil das Revisionsziel zweifelsfrei erkennbar ist (OLG Hamm, NStZ-RR 2000, 84, 85).

Soweit der Beschwerdeführer dabei die Frist des § 345 Abs. 1 StPO nicht eingehalten hat, war ihm nach § 44 StPO auf seinen Antrag Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren. Versäumt es ein Beschwerdeführer eine bestimmte Verfahrensrüge fristgerecht zu begründen, so ist ihm auch bei einer im Übrigen form-und fristgerechten Revision ausnahmsweise Wiedereinsetzung zu gewähren, wenn er unverschuldet durch äußere Umstände oder unvorhersehbare Zufälle daran gehindert war, diese Verfahrensrüge rechtzeitig formgerecht anzubringen (BGH, NStZ 2008, 705, 706; wistra 1993, 347; 2005, 344). Dergleichen ist vorliegend der Fall. Der Beschwerdeführer hat erst durch die nachträgliche Übermittlung des Ladungsheftes durch das Revisionsgericht dav...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge