Entscheidungsstichwort (Thema)

Räumung einer Mietwohnung

 

Tenor

Es ergeht folgender Rechtsentscheid:

Ein Abkömmling einer Schwester der Mutter des Vermieters ist Familienangehöriger i. S. von § 564 b Abs. 2 Nr. 2 BGB, sofern weitere besondere Umstände vorliegen, die eine enge Bindung des Vermieters zu dieser Person ergeben,

 

Tatbestand

Der Kläger vermietete dem Beklagten durch schriftlichen Vertrag vom 29.9.1980 eine Drei-Zimmer-Wohnung in seinem Haus … Mit Schreiben vom 19.6.1991 kündigte er diesen Vertrag wegen Eigenbedarfs fristgerecht zum 31.7.1992 unter Hinweis auf das Widerspruchsrecht des Beklagten. Zur Begründung des Eigenbedarfs teilte er in dem Schreiben mit, er benötige die Wohnung für seine Cousine … die aus Polen nach Deutschland gekommen sei und mit vier Personen in einer 14 m² großen Sozialwohnung lebe. Sechs Wochen vor Ablauf der Kündigungsfrist forderte der Kläger den Beklagten auf, die Kündigung zu bestätigen, da er sonst davon ausgehe, daß dieser nicht ausziehen wolle; in diesem Fall werde er Räumungsklage erheben. Der Beklagte räumte die Wohnung nicht. Am 5.8.1992 reichte der Kläger die Räumungsklage beim Amtsgericht … ein. Diese Klage wurde am 2.9.1992 zugestellt.

Der Kläger meint, seine Cousine sei Familienangehörige i.S.v. § 564 b Abs. 2 Nr. 2 BGB, so daß er zur Kündigung des Mietverhältnisses wegen Eigenbedarfs berechtigt sei. Seine Verwandte lebe außerdem in unzumutbaren Verhältnissen. Es komme hinzu, daß Frau … sich bereit erklärt habe, ihn –den Kläger– in seinen alten Tagen zu betreuen. Er sei zu 80 % schwerbehindert und nach dem Tod seiner Ehefrau kaum in der Lage, mit seiner Lebensführung zurechtzukommen.

Der Beklagte tritt der vom Kläger geäußerten Rechtsansicht entgegen. Er ist außerdem der Auffassung, daß sich das Mietverhältnis nach § 568 BGB auf unbestimmte Zeit verlängert habe, da der Kläger nicht innerhalb von zwei Wochen nach Ablauf der Kündigungsfrist Klage erhoben habe. Schließlich behauptet der Beklagte, der Kläger habe ihm zu einem Zeitpunkt, als dessen Cousine bereits in Deutschland gewohnt habe, zugesichert, er könne so lange in der Wohnung bleiben, wie er wolle.

Das Amtsgericht … hat der Klage durch Urteil vom 3.2.1993 nach Vernehmung der Frau … stattgegeben und den Beklagten zur Räumung und Herausgabe der Wohnung verurteilt. Gegen diese Entscheidung hat der Beklagte form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Das Landgericht … hat am 2.8.1993 beschlossen, einen Rechtsentscheid über folgende Fragen einzuholen:

  1. Gehört ein Abkömmling einer Schwester der Mutter des Vermieters zum Personenkreis des § 564 b Abs. 2 Nr. 2 BGB?
  2. Kommt es bei der Beurteilung der Eigenschaft eines Familienangehörigen im vorstehenden Sinne auf das Hinzutreten weiterer besonderer Umstände an, die eine enge Bindung des Vermieters zu dieser Person ergeben?

Das Landgericht hat zuvor Stellungnahmen der Parteien zu seiner beabsichtigten Verfahrensweise eingeholt.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Vorlage ist zulässig. Die gestellten Fragen sind entsprechend der vom Landgericht vertretenen Auffassung dahin zu beantworten, daß ein Abkömmling einer Schwester der Mutter des Vermieters, also dessen Cousine (Verwandtschaft vierten Grades in der Seitenlinie) Familienangehöriger i.S.v. § 564 b Abs. 2 Nr. 2 BGB ist, sofern zwischen beiden eine enge Bindung im Sinne eines sozialen Kontakts besteht.

1. Die Vorlage ist nach § 541 Abs. 1 S. 1, 2. Halbsatz ZPO zulässig. Die Rechtsfragen betreffen den Bestand eines Mietvertragsverhältnisses über Wohnraum; sie sind gesetzlich nicht geregelt und –soweit ersichtlich ist– bisher durch Rechtsentscheid eines Oberlandesgerichts noch nicht entschieden; außerdem haben die Fragen grundsätzliche Bedeutung.

a) Der Vorlagebeschluß geht zutreffend davon aus, daß der Begriff der Familienangehörigen in § 564 b Abs. 2 Nr. 2 BGB selbst nicht definiert ist. Eine Anlehnung an den entsprechenden Begriff in § 8 Abs. 2 des II. Wohnungsbaugesetzes kommt nach herrschender Meinung nicht in Betracht, weil dieses Gesetz mit der Förderung des sozialen Wohnungsbaus einen anderen Zweck verfolgt. Dabei mag eine generalisierende Betrachtungsweise im Interesse der Gleichbehandlung geboten sein. Vorliegend geht es aber darum, ob ein Individual-Schuld-Verhältnis aufgelöst werden kann, das grundsätzlich Bestandsschutz gemeßt. Aus diesem Grund ist im Mietrecht eine individualisierende Betrachtungsweise geboten (vgl. Sternel, Mietrecht, 3. Aufl. 1988, IV. Rdn. 139; Staudinger-Sonnenschein, BGB, 12. Aufl. 1978, § 564 b Rdn. 61; Palandt/Putzo, BGB, 51. Aufl., § 564 b Rdn. 45, jew.m.w.N.).

Die Fragen des Vorlagebeschlusses haben auch grundsätzliche Bedeutung. Denn es ist zu erwarten, daß diese bei der Kündigung wegen Eigenbedarfs bedeutsamen Probleme auch künftig wiederholt auftreten und auch unterschiedlich beantwortet werden. Die vom Landgericht gestellten Fragen sind, wie es weiter erforderlich ist (Thomas/Putzo, ZPO, 18. Aufl., § 541 Rdn. 12 m.w.N.), noch nicht durch den Bundesgerichtshof oder eine gefestigte obergerich...

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