Verfahrensgang

LG Coburg (Entscheidung vom 30.06.1992; Aktenzeichen 1 O 239/92)

 

Tenor

  • I.

    Auf die Berufung der Klägerin wird das Endurteil des Landgerichts Coburg vom 30. Juni 1992 abgeändert.

  • II.

    Die Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt.

  • III.

    Die Sache wird zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Coburg zurückverwiesen, das auch über die Kosten der Berufung zu befinden hat.

  • IV.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

  • V.

    Der Wert der Beschwerde der Beklagten beträgt 223.553,45 DM.

 

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagte als Kfz-Haftpflichtversicherer auf Schadensersatz wegen vermehrter Bedürfnisse aus einem Verkehrsunfall in Anspruch.

Am 21. Mai 1985 gegen 17.00 Uhr verschuldete der Vater der am ... August 1973 geborenen Klägerin mit seinem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Pkw auf der B 85 bei Kilometer 15,32 in der Nähe von ... fahrlässig einen Verkehrsunfall, für dessen Folgen die Beklagte dem Grunde nach in voller Höhe haftet. Die Klägerin, die im Pkw ihres Vaters mitfuhr, erlitt hierbei schwere Verletzungen, unter anderem ein offenes Schädel-Hirntrauma, und trug bleibende Behinderungen davon. Sie konnte daher nicht mehr, wie bis zum Zeitpunkt des Unfalls, zu Hause versorgt werden und mußte ab dem 7. April 1986 in Heimen untergebracht werden. Die hierbei anfallenden Kosten wurden bis zum 31. Dezember 1990 vom Bezirk Oberfranken - Sozialhilfeverwaltung - gedeckt, ab dem 1. Januar 1991 werden sie von der Beklagten getragen. Mit Schreiben vom 4. November 1991 wies die Sozialhilfeverwaltung unter Bezugnahme auf ihren Bewilligungsbescheid vom 20. Mai 1987 die Klägerin auf ihre Verpflichtung hin, die nach § 44 BSHG vorgeleisteten Aufwendungen gegenüber der Beklagten geltend zu machen.

Die Klägerin hat im ersten Rechtszug die Zahlung von insgesamt 223.553,45 DM für in der Zeit vom 7. April 1986 bis 31. Dezember 1990 angefallene unfallbedingte vermehrte Bedürfnisse begehrt. Sie hat vorgetragen, für Tagesstätte und Fünf-Tage-Internat seien 170.533,90 DM, für Wochenend- und Ferienbetreuung einschließlich Taschengeld 73.354,10 DM aufgewendet worden. Erhalten habe sie in diesem Zeitraum 8.300,- DM Kindergeld sowie Leistungen nach dem BAföG in Höhe von 15.195,- DM. Außerdem habe der Bezirk 3.160,45 DM an Beihilfen (Bekleidungs-, Weihnachtsbeihilfen ec.) erbracht.

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, der von ihr geltend gemachte Schadensersatzanspruch wegen vermehrter Bedürfnisse werde durch die Leistungen der Sozialhilfeverwaltung nicht berührt, da - auch nach dem Grundsatz der Nachrangigkeit der Sozialhilfe - deren Zahlungen dem Schädiger nicht zugute kommen dürften. Der Sozialhilfeträger habe ihr darüber hinaus die Prozeßführung überlassen, da er aufgrund seiner nur vorläufigen Zahlung den Schadensersatzanspruch auf sich hätte überleiten können. Auf ihren Schadensersatzanspruch müsse sie sich lediglich das Kindergeld und die Leistungen nach dem BAföG, allerdings abzüglich der Beihilfen der Bezirks Oberfranken - Sozialhilfeverwaltung - anrechnen lassen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 223.553,45 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit 22.2.1992 zu bezahlen,

hilfsweise

die Beklagte zu verurteilen, an die Sozialhilfeverwaltung des Bezirks Oberfranken 223.553,45 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit 22.2.1992 zu bezahlen,

hilfsweise

festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin von Ansprüchen der Sozialhilfeverwaltung des Bezirks Oberfranken bis zur Höhe von 223.553,45 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit 22.2.1992 freizustellen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen,

und zunächst mit Nichtwissen bestritten, daß der Vater der Klägerin in Höhe der eingeklagten Forderung leistungsfähig gewesen sei. Da jegliche Belege und Nachweise fehlten, werde die Schadenshöhe bestritten. Im übrigen seien "Sowieso-"Aufwendungen für den Lebensunterhalt der Klägerin in Höhe von 9,- DM täglich, also in Höhe von insgesamt 14.391,- DM für den Abrechnungszeitraum, erspart worden und daher von der Forderung der Klägerin in Abzug zu bringen.

Die Beklagte hat darüber hinaus die Meinung vertreten, der Klägerin sei letztlich kein Schaden entstanden, da sie infolge der Zahlungen der Sozialhilfeverwaltung des Bezirks Oberfranken vollen Ausgleich erhalten habe. Dieser sei wegen § 116 Abs. 6 SGB X gehindert, bei dem Vater der Klägerin, dem Schädiger, Regreß zu nehmen. Wenn nun die Klägerin die Beklagte als Kfz-Haftpflichtversicherer in Anspruch nehme, stelle dies eine rechtsmißbräuchliche Umgehung dieser Vorschrift dar. Soweit Unterhaltsansprüche im Raume stünden, seien diese darüber hinaus nach § 10 AKB nicht versichert.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und ausgeführt, hinsichtlich des Haupt- und zweiten Hilfsantrages sei die Klage unbegründet, da sich die Klägerin die Leistungen des Sozialhilfeträgers nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung anrechnen lassen müsse. Zwar finde bei Leistungen der Träger der Sozialhilfe - wie auch der Sozialversicherungen - grundsätzlich ei...

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