Entscheidungsstichwort (Thema)

Einführung der Pflegeversicherung als Systemänderung

 

Leitsatz (amtlich)

Die Einführung der Pflegeversicherung zum 1.4.1995 stellt eine „Systemänderung” im Sozialversicherungsrecht dar, die einen früheren, vor In-Kraft-Treten der gesetzlichen Regelungen stattfindenden Forderungsübergang ausschließt.

 

Normenkette

SBG X § 116 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Urteil vom 06.09.2000; Aktenzeichen 17 O 84/00)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 03.12.2002; Aktenzeichen VI ZR 142/02)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 6.9.2000 verkündete Urteil des LG Berlin – 17 O 84/00 – geändert und die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 105 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin ist gesetzliche Krankenkasse und Trägerin der sozialen Pflegeversicherung. Sie verlangt von der beklagten Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung Ersatz von Leistungen, die sie als gesetzliche Pflegeversicherung erbracht hat.

Am 1.2.1986 wurde der bei der Klägerin versicherte T.W. durch einen Verkehrsunfall schwer verletzt. Er ist seitdem zu 100 % schwerbeschädigt und für seine gesamte Lebenszeit auf Pflege angewiesen. Das Unfallfahrzeug, ein Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen B., war bei der Beklagten haftpflichtversichert. Die volle Haftung der Beklagten für die Schäden aus dem Verkehrsunfall ist dem Grunde nach zwischen den Parteien nicht streitig.

Es kam nach dem Unfall zu Verhandlungen zwischen dem (zwischenzeitlich verstorbenen) Vater des Geschädigten als Gebrechlichkeitspfleger und der Beklagten über eine Vereinbarung zur Abfindung aller Schadensersatzansprüche des Geschädigten. Gegenstand der Verhandlungen waren neben Schmerzensgeldansprüchen und Verdienstausfallschäden auch Ansprüche wegen des entstehenden Pflegeaufwandes, auch für den Fall einer möglicherweise später erforderlichen stationären Pflege, sowie Ansprüche wegen vermehrter Bedürfnisse. Wegen der Einzelheiten der Verhandlungen wird auf den hierüber von einem Mitarbeiter der Beklagten gefertigten und von der Beklagten zu den Gerichtsakten gereichten Aktenvermerk vom 30.6.1989 Bezug genommen.

Am 19.7.1989 gab der Vater des Geschädigten im Namen seines Sohnes ggü. der Klägerin eine „Abfindungserklärung” mit dem Inhalt ab, er sei für alle bisherigen und möglicherweise noch entstehenden Ansprüche, seien sie vorhersehbar oder nicht, aus dem Verkehrsunfall vom 1.2.1986 durch Zahlung eines Betrages von noch 1.100.000 DM endgültig und vollständig abgefunden. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die Abfindungserklärung vom 19.7.1989 Bezug genommen.

Die Erklärung wurde von der Beklagten an die Klägerin mit dem Hinweis übersandt, die Beklagte sei nunmehr von der Zahlung von Kosten für die häusliche Pflege freigestellt.

Die Abfindungssumme ist von der Beklagten am 2.8.1989 an den Geschädigten geleistet worden.

Mit Schreiben vom 16.7.1992 an die … erklärte der Vater des Geschädigten „als Vater und Gebrechlichkeitspfleger meines Sohnes …”:

„Hiermit erkläre ich mich einverstanden, auf Leistungen der Stadt B. soweit sie die häusliche Pflege meines Sohnes betreffen, ab 1.8.1992 zu verzichten ….”

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 16.7.1992 Bezug genommen.

Nach Verkündung des Gesetzes über die soziale Pflegeversicherung stellte der Vater des Geschädigten am 1.2.1995 für diesen bei der Klägerin einen Antrag auf Leistungen der Pflegeversicherung. Daraufhin hat die Klägerin seit dem 1.4.1995 an die Mutter des Geschädigten Pflegegeld aus der sozialen Pflegeversicherung in der Pflegestufe III i.H.v. 1.300 DM monatlich gezahlt, in der Zeit vom 1.4.1995 bis 31.9.1998 einen Gesamtbetrag i.H.v. 54.600 DM. Mit der bei dem LG Berlin erhobenen Klage hat die Klägerin Ersatz dieses Betrages verlangt.

Sie hat geltend gemacht, der Ersatzanspruch sei gem. § 116 Abs. 1 SGB X auf sie übergegangen. Der Vater ihres Versicherten hätte seinen ihr ggü. erklärten Verzicht auf Zahlung von Pflegegeld mit der Antragstellung gem. § 46 Abs. 1 SGB I wirksam widerrufen. Die Abfindungsvereinbarung zwischen der Beklagten und dem Geschädigten habe ggü. der Klägerin keine Wirkung, weil zurzeit der Vereinbarung die hier in Frage stehenden Ansprüche bereits auf die Klägerin übergegangen gewesen seien. Es handele sich bei der Pflegeversicherung lediglich um eine Erweiterung der bereits vor Abschluss des Vergleichs geltenden Regelungen über die Leistungen der Krankenversicherung für die Pflege von Kranken und Schwerstpflegebedürftigen.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, der Anspruch des Geschädigten auf Zahlung des Pflegegeldes sei erst mit In-Kraft-Treten des Gesetzes über die soziale Pflegeversicherung im Jahre 1995 entstanden und daher von dem bereits vorher abgeschlossenen Abfindungsvergleich...

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