Entscheidungsstichwort (Thema)

Eintritt der Führungsaufsicht bei Verbüßung einer Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren

 

Leitsatz (amtlich)

›Führungsaufsicht kraft Gesetzes tritt unter den übrigen Voraussetzungen des § 68f Abs. 1 S. 1 StGB mit der Haftentlassung des Verurteilten auch dann ein, wenn der Strafvollstreckung die Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe oder einer Einheitsjugendstrafe von mindestens zwei Jahren, bzw. von mindestens einem Jahr wegen einer der in § 181b StGB genannten Straftaten zu Grunde liegt; darauf, dass die Gesamtstrafe wenigstens auch aus einer dieses Mindestmaß erreichenden Einzelstrafe gebildet wurde, kommt es nicht an (Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung des Senats OLG Bamberg - Ws 584 - 14.10.1999).‹

 

Gründe

I. Das Landgericht verurteilte den Beschwerdegegner im April 2004 wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in 53 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren, wobei es die Gesamtfreiheitsstrafe aus 53 Einzelfreiheitsstrafen von jeweils sieben Monaten bildete; Strafende ist für Mitte Januar 2007 vorgemerkt. Den Antrag der Staatsanwaltschaft, auszusprechen, dass es bei der kraft Gesetzes nach der Entlassung aus dem Strafvollzug eintretenden Führungsaufsicht von fünf Jahren sein Bewenden hat (§§ 68 f Abs. 1 Satz 1, 68 c Abs. 1 Satz 1 StGB), hat das Landgericht unter Hinweis auf die ständige und langjährige Rechtsprechung des erkennenden Senats, wonach für die Anordnung der Führungsaufsicht entscheidend sei, dass zumindest eine der ausgesprochenen Einzelstrafen das in § 68 f Abs. 1 Satz 1 StGB genannte Mindestmaß erreichen müsse, zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss richtet sich die von der Generalstaatsanwaltschaft vertretene sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft.

II. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist zulässig (§§ 463 Abs. 3 Satz 1, 454 Abs. 3 Satz 1, 306 Abs. 1, 311 StPO) und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückverweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer.

Das Landgericht hat in dem angefochtenen Beschluss zu Recht darauf hingewiesen, dass der Senat in ständiger und langjähriger Rechtsprechung (vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 14.10.1999 - Ws 584/99 = NStZ-RR 2000, 81/82 f.; vom 24.07.2000 - Ws 369/00 und vom 01.06.2005 - Ws 394/05) die Auffassung vertreten hat, dass Führungsaufsicht nach §§ 68 f Abs. 1 StGB, 7 JGG mit der Haftentlassung des Verurteilten nur dann eintritt, wenn bei Verbüßung einer Gesamtfreiheitsstrafe oder einer Einheitsjugendstrafe dieser auch eine Straftat zugrunde liegt, für die eine Einzelstrafe von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe bzw. Jugendstrafe (oder bei einer der in § 181 b StGB genannten Straftaten Freiheitsstrafe bzw. Jugendstrafe von mindestens einem Jahr) verhängt worden ist bzw. verwirkt gewesen wäre.

Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte zur Auslegung von § 68 f Abs. 1 Satz 1 StGB ist nach wie vor konträr (vgl. die Übersicht bei Tröndle/Fischer, StGB, 53. Aufl., Rn. 3 zu § 68f.).

Nach neuer Abwägung aller maßgeblichen Gesichtspunkte hält der Senat nicht länger an seiner bisherigen Rechtsprechung zu § 68 f Abs. 1 Satz 1 StGB fest. Nach seiner nunmehrigen Auffassung kommt es nicht mehr darauf an, ob bei Verbüßung einer Gesamtfreiheitsstrafe oder einer Einheitsjugendstrafe der Vollstreckung auch eine Einzelfreiheitsstrafe zugrunde liegt, oder eine Jugendstrafe verwirkt gewesen wäre, die das Mindestmaß des § 68 f Abs. 1 StGB erreicht.

Entscheidendes Kriterium für die Änderung seiner Rechtsprechung ist für den Senat zunächst, dass der Gesetzgeber im Rahmen der Reform der Führungsaufsicht u.a. beabsichtigt, § 68 f Abs. 1 Satz 1 StGB dahingehend zu ändern, dass auch Gesamtfreiheitsstrafen im dort vorgesehenen Mindestmaß ausreichen, um Führungsaufsicht eintreten zu lassen. Der Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Reform der Führungsaufsicht vom 05.04.2006 hat mittlerweile die 1. Lesung im Bundestag hinter sich gebracht.

Es kann weiter nicht übersehen werden, dass das Rechtsinstitut der Führungsaufsicht die Betreuung und Überwachung bei ungünstig prognostizierten Straftätern miteinander verbinden will. Im Rahmen des § 68 f StGB steht dabei ganz der Umstand der Vollverbüßung einer langen Freiheitsstrafe und die ungünstige Sozialprognose bei der Entlassung, die durch die Nichtanwendung von § 57 StGB dokumentiert ist, im Vordergrund. Weiter bestehen in der Regel Eingliederungsschwierigkeiten, denen die Führungsaufsicht nach einem länger dauernden Strafvollzug gleichfalls begegnen soll. Dafür ist es unerheblich, ob der längere Strafvollzug auf einer Gesamtfreiheitsstrafe oder auf einer Einzelstrafe beruht.

Schließlich spricht auch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur fortgesetzten Handlung für die nunmehr vertretene Auffassung. Diese Rechtsprechung führt nämlich dazu, dass gerade bei Serientätern vermehrt kurze Einzelstrafen ausgesprochen werden, die in ihrer Summe ein erhebliches Ausmaß erreichen, aber nur zu einer Gesamtstrafe zusammengefasst werden können.

Vor...

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