Rz. 17

Die aus §§ 273, 320 BGB folgenden Zurückbehaltungsrechte sind schon von ihrem Wortlaut her nur anwendbar, wenn keine Vorleistungspflicht besteht. Nicht zuletzt aus diesem Grunde wird in der Praxis vielfach versucht, die Anwendung des § 309 Nr. 2 BGB durch eine formularmäßige Begründung von Vorleistungspflichten des Vertragspartners zu vermeiden.

I. Anwendbarkeit des § 309 Nr. 2 BGB auf Vorleistungsklauseln

 

Rz. 18

Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist hinsichtlich der Frage, nach welchen Bestimmungen die Wirksamkeit dieser Vorleistungsklauseln zu prüfen ist, nicht einheitlich. So bestimmte der X. Senat des Bundesgerichtshofs in seinem Urt. v. 20.6.2006, dass Klauseln, durch die eine Vorleistungspflicht – etwa durch die Vereinbarung von Anzahlungen auf den Reisepreis bei Pauschalreisen – begründet wird, nicht der Vorschrift des § 309 Nr. 2a BGB unterfallen, sondern der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB unterliegen.[21] Dagegen bestimmte der III. Senat des Bundesgerichtshofs in seinem Urt. v. 4.3.2010, dass sich die Überprüfung der Wirksamkeit von Vorleistungsklauseln "in aller Regel" nach den Maßgaben des § 307 BGB richte.[22] Nach einem im Jahr 2002 ergangenen Urteil des VIII. Senat des Bundesgerichtshofs ist, sofern Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass mit einer Vorleistungspflicht das Klauselverbot des § 11 Nr. 2 AGBG (§ 309 Nr. 2 BGB) umgangen werden soll, die Wirksamkeit einer derartigen Regelung nach dieser Vorschrift zu überprüfen, in den übrigen Fällen nach § 9 AGBG (§ 307 BGB).[23]

 

Rz. 19

Nach der herrschenden Meinung in der Literatur ist nicht § 309 Nr. 2 BGB, sondern allein § 307 BGB der Überprüfungsmaßstab für die Wirksamkeit von Vorleistungsklauseln.[24] Die Begründung hierfür ist jedoch zu formal: § 309 Nr. 2a BGB sei nicht einschlägig, da § 320 BGB voraussetze, dass eine Vorleistungspflicht nicht bestehe.[25] Es ist zwar zutreffend, dass der Gesetzgeber Vorleistungsvereinbarungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen grundsätzlich nicht hat ausschließen wollen.[26] Dennoch ist zu berücksichtigen, dass § 306a BGB ausdrücklich bestimmt, dass die Vorschriften über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen auch Anwendung finden, wenn sie durch anderweitige Gestaltungen umgangen werden (Umgehungsverbot). Wenn daher bei Vorleistungsklauseln der Zweck im Vordergrund steht, die Regelung des § 309 Nr. 2 BGB zu umgehen, ist Prüfungsmaßstab hierfür auch § 309 Nr. 2 BGB.[27]

[21] BGH NJW 2006, 3134 m.w.N.
[24] Palandt/Grüneberg § 309 Rn 13; WLP/Dammann, § 309 Nr. 2 Rn 11; UBH/Schäfer, § 309 Nr. 2 Rn 13; Staudinger/Coester-Waltjen, § 309 Nr. 2 Rn 7.
[25] UBH/Schäfer, § 309 Nr. 2 Rn 13.
[26] Vgl. BT-Drucks 7/3919, 28.
[27] Ebenso BGH NJW 1985, 852, 855; BGH NJW 1985, 855, 857; BGH NJW-RR 1986; 959; Beck’scher Online-Kommentar/Becker, § 309 Nr. 2 Rn 8; Tonner, NJW 1985, 111; v. Westphalen/Thüsing, Vorleistungsklauseln Rn 1.

II. Wirksamkeit von Vorleistungsklauseln

 

Rz. 20

Vorleistungsklauseln sind nach der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur zulässig, sofern für sie ein sachlich gerechtfertigter Grund vorliegt und die berechtigten Interessen des Kunden gewahrt werden.[28]

 

Rz. 21

Die Rechtsprechung hat nach diesen Grundsätzen Vorleistungsklauseln im Rahmen von Kaufverträgen über Küchenmöbel und Elektrogeräte für unwirksam erklärt, die eine Sicherheitsanzahlung des Käufers in Höhe von 20 % vorsahen, wenn keine Sonderanfertigung geschuldet ist.[29] Unwirksam ist eine in einem Neuwagenkaufvertrag enthaltene Klausel, die bestimmt, dass der Kaufpreis bei Übergabe – spätestens jedoch acht Tage nach Zugang der schriftlichen Bereitstellungsanzeige – und Aushändigung oder Übersendung der Rechnung fällig ist.[30] In Bauverträgen sind Vorleistungsklauseln unwirksam, die einen unwiderruflichen Überweisungsauftrag oder eine Bankgarantie für die einzelnen Raten vorsehen.[31] Bei einem Werkvertrag kann der vorleistungsverpflichtete Unternehmer zwar gemäß § 632a BGB von seinem Vertragspartner Abschlagszahlungen verlangen, jedoch darf er seine eigene Vorleistungspflicht nicht dadurch aushöhlen, indem er formularmäßig übermäßig hohe Abschlagszahlungen verlangt und somit durch die Hintertür entgegen der gesetzlichen Wertung eine Vorleistungspflicht des Vertragspartners regelt. So ist eine Klausel unwirksam in einem Vertrag über die Montage von Fenstern, nach der die Bezahlung des Warenwerts der Fenster (95 % des Werklohns) bei Anlieferung und damit noch vor der Montage zu erbringen war.[32] Unwirksam ist auch eine Klausel in einem Fertighausvertrag, nach der 14 Tage nach der (Roh-)Montage des Hauses 90 % des Werklohns ohne Rücksicht auf den Umfang der tatsächlich erbrachten Bauleistungen zur Zahlung fällig sind.[33] Die in einem Formularvertrag über die Errichtung eines Bauwerks enthaltene Klausel, wonach der Bauunternehmer verlangen kann, dass der Erwerber ohne Rücksicht auf vorhandene Baumängel vor Übergabe des bezugsfertigen Bauwerks dann noch nicht fällige Teile des Erwerbspreises von insgesamt 14 % nach Anweisung des Verkäufers hinterlegt, ist als eine der Umgehung...

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