Das Wichtigste in Kürze:

1. Nach § 266 kann die StA in der HV Anklage wegen weiterer Straftaten oder OWi (§§ 42, 64 OWiG) des Angeklagten erheben.
2. Die Nachtragsanklage wird in der HV mündlich erhoben, eine vorbereitete Anklageschrift muss der StA verlesen.
3. Erhebt der StA Nachtragsanklage, kann das Gericht sie nach § 266 Abs. 1 nur dann in das Verfahren einbeziehen, wenn der Angeklagte zustimmt.
4. Als sonstige (Ablehnungs-)Gründe kommen die Gründe in Betracht, die bei einem Richter die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen.
 

Rdn 2271

 

Literaturhinweise:

Achenbach, "Tat", "Straftat", "Handlung" und die Strafrechtsreform, MDR 1975, 19

Bauer, Der prozessuale Tatbegriff, NStZ 2003, 174

Gubitz/Bock, Zur Verbindung mehrerer Verfahren während einer bereits begonnenen Hauptverhandlung gegen denselben Angeklagten, StraFo 2007, 225

Hilger, Kann auf eine Nachtragsanklage (§ 266 StPO) die Eröffnung des Hauptverfahrens mangels hinreichenden Tatverdachts abgelehnt werden?, JR 1983, 441

Jahn, Rechtsmissbrauch im Strafverfahren bei Verweigerung notwendiger Mitwirkungshandlungen? Dargestellt am Problem der fehlenden Zustimmung zur Nachtragsanklage durch den Angeklagten, wistra 2002, 328

Kuhli, Anmerkung zum BGH-Beschluss v. 11.12.2008 (4 StR 318/08, NStZ 2009, 222) – Zur Frage der Notwendigkeit des Neubeginns der Verhandlung bei einer Nachtragsanklage, ZJS 2011, 183

Meyer-Goßner, Nachtragsanklage und Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens, JR 1984, 53

ders., Die Verbindung von Strafsachen beim Landgericht, NStZ 2004, 353

Neuhaus, Der strafprozessuale Tatbegriff und seine Identität, 1. Teil: MDR 1988, 1012

2. Teil: MDR 1989, 213

Paeffgen, § 129a StGB und der strafprozessuale Tatbegriff, NStZ 2002, 281.

 

Rdn 2272

1.a) Nach § 266 kann die StA in der HV Anklage wegen weiterer Straftaten oder OWi (§§ 42, 64 OWiG) des Angeklagten erheben. Gegenstand der Nachtragsanklage kann nur eine andere als die bereits angeklagte Tat im verfahrensrechtlichen Sinn des § 264 sein, also ein anderer selbstständiger Lebenssachverhalt, der auch rechtlich selbstständig ist (KK-Kuckein/Bartel, § 266 Rn 2 m.w.N.; Meyer-Goßner/Schmitt, § 266 Rn 2; OLG Saarbrücken NJW 1974, 375; eingehend Neuhaus MDR 1988, 1012 ff.; 1989, 213 ff.). Ein Fall des § 266 liegt nicht vor, wenn die "Identität" der Tat gewahrt bleibt und sich nur deren rechtliche Beurteilung ändert (OLG Saarbrücken, a.a.O. [für fahrlässige Straßenverkehrsgefährdung und sich anschließendes unerlaubtes Entfernen vom Unfallort]; vgl. i.Ü. KK-Kuckein/Bartel, a.a.O.). Entscheidend ist eine Gesamtschau aufgrund der Kriterien Tatort, -zeit, -objekt und Angriffsrichtung (Neuhaus, a.a.O. m.w.N.; BGH NStZ 1997, 145 [auch Zahl der Taten]; 2002, 328 [zur Tatidentität bei einem Waffendelikt]; Beschl. v. 17.12.2020 – 3 StR 391/20, NStZ-RR 2021, 148 [Ls.]; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1999, 304 [für Wahlfeststellung zwischen Diebstahl und Hehlerei]). Bei gleichartigen, nicht durch andere individuelle Tatmerkmale als die Tatzeit unterscheidbaren Serientaten heben Veränderungen und Erweiterungen des Tatzeitraumes die Identität zwischen angeklagten und abgeurteilten Taten auf, insoweit ist dann ggf. eine Nachtragsanklage zu erheben (vgl. a. BGH StraFo 2015, 68).

 

Rdn 2273

b) Die Erhebung der (mündlichen) Nachtragsanklage steht im Ermessen der StA. Die StA kann auch ein neues Strafverfahren gegen den Angeklagten einleiten (Meyer-Goßner/Schmitt, § 266 Rn 4). Tut sie das und erhebt sie in dem Verfahren Anklage, kann das neue Verfahren – außerhalb des Anwendungsbereichs des § 266 – zwar mit dem bereits laufenden Verfahren verbunden werden. Es kann in diesem jedoch nicht die HV "fortgesetzt" werden, vielmehr ist mit der HV neu zu beginnen (BGHSt 53, 108; StraFo 2010, 337; Meyer-Goßner/Schmitt, § 4 Rn 9; a.A. wohl BGH StV 2008, 226, wo es allerdings offengelassen worden ist, ob der Tatrichter mit der HV neu beginnen muss; s.a. noch Teil N Rdn 2280 f.).

 

☆ Etwas anderes gilt, wenn es sich um eine Verbindung nach § 237 handelt ( Meyer-Goßner NStZ 2004, 353, 355), da diese die rechtliche Selbstständigkeit der Verfahren unberührt lässt (s. auch Kuhli ZJS 2011, 183; →  Verbindung von Verfahren , Teil V Rdn  3236 ).anderes gilt, wenn es sich um eine Verbindung nach § 237 handelt (Meyer-Goßner NStZ 2004, 353, 355), da diese die rechtliche Selbstständigkeit der Verfahren unberührt lässt (s. auch Kuhli ZJS 2011, 183; → Verbindung von Verfahren, Teil V Rdn 3236).

 

Rdn 2274

2. Die Nachtragsanklage wird in der HV mündlich erhoben, eine vorbereitete Anklageschrift muss der StA verlesen (Meyer-Goßner/Schmitt, § 266 Rn 5; zur mündlichen Erhebung BGH, Beschl. v. 22.11.2017 – 4 StR 306/17). Für den Inhalt der Nachtragsanklage gilt § 200 Abs. 1, sodass die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat unter Hervorhebung ihrer gesetzlichen Merkmale, der Zeit und des Ortes ihrer Begehung sowie das anzuwendende Strafgesetz zu bezeichnen ist (BGH NStZ 1986, 276; BayObLG NJW 1953, 674).

 

Rdn 2275

Die Nachtragsanklage kann nach h.M. bis zum Beginn der → Urte...

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