Leitsatz

1. Die 6. EG-RL ist dahin auszulegen, dass eine missbräuchliche Praxis vorliegt, wenn mit dem fraglichen Umsatz oder den fraglichen Umsätzen im Wesentlichen ein Steuervorteil erlangt werden soll.

2. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, im Licht der im vorliegenden Urteil enthaltenen Auslegungshinweise zu bestimmen, ob Umsätze wie die im Ausgangsverfahren fraglichen im Rahmen der Mehrwertsteuererhebung im Hinblick auf die 6. EG-RL als Teil einer missbräuchlichen Praxis anzusehen sind.

 

Normenkette

Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a, Art. 13 Teil B Buchst. a und d der 6. EG-RL (vgl. § 4 Nrn. 8, 10 und 11 UStG)

 

Sachverhalt

S und IFIM gehörten derselben Finanzgruppe an und beteiligten sich an Mietkaufumsätzen für Kfz. IFIM schloss mit dem Nutzer den Mietkaufvertrag. Vereinbart war die Hinterlegung der Leasingraten, des Restkaufpreises und die Gestellung einer unbeschränkten Bürgschaft. Mit S vereinbarte der Kunde Versicherungen (außer Haftpflicht), stellte die Bürgschaft und finanzierte den Hinterlegungsbetrag. Als Gegenleistung an IFIM bezahlte der Kunde etwa den Preis des Fahrzeugs + 1 % Provision. S kehrte den Betrag an IFIM aus. IFIM erhielt noch eine Vermittlungsprovision von S.

Die Finanzverwaltung versagte die von S beantragte Steuerbefreiung unter Hinweis auf die missbräuchliche Gestaltung.

 

Entscheidung

Der EuGH entscheidet zwar nicht den Fall, dessen Hinweise sind jedoch eindeutig.

Die fraglichen Umsätze weisen folgende Merkmale auf:

  • die beiden am Mietkauf beteiligten Gesellschaften gehören derselben Unternehmensgruppe an;
  • die Leistung der Leasinggesellschaft (IFIM) wird aufgeteilt, wobei das charakteristische Element der Finanzierung einer anderen Gesellschaft (Italservice) überlassen wird, die es in Kredit-, Versicherungs- und Vermittlungs­leistungen aufspaltet;
  • die Leistung der Leasinggesellschaft wird dadurch auf die Vermietung eines Kfz reduziert;
  • der Gesamtbetrag der vom Dienstleistungsempfänger entrichteten Leasinggebühren übersteigt kaum den Kaufpreis des Gegenstands;
  • isoliert betrachtet scheint diese Leistung daher wirtschaftlich nicht rentabel zu sein, sodass die Überlebensfähigkeit des Unternehmens durch die mit den Dienstleistungsempfängern geschlossenen Verträge allein nicht sichergestellt werden kann;
  • die Leasinggesellschaft erhält die Gegen­leistung des Leasinggeschäfts nur dank der Kumulierung der vom Dienstleistungsempfänger gezahlten Leasinggebühren und der von der anderen Gesellschaft derselben Unternehmensgruppe gezahlten Beträge.

Zu prüfen ist nun, ob das angestrebte Ergebnis auch ein Steuervorteil ist und ob der der 6. EG-RL zuwiderläuft. Dass hier -- auch -- die Steuerbefreiung eines Teils der Leistung erstrebt wird, ist nicht zu übersehen. Denn der "normale Mietkauf" iist eine steuerpflichtige Dienstleistung. Im Übrigen sind die künstliche Aufspaltung sowie die rechtlichen, wirtschaftlichen und/oder personellen Verbindungen zwischen den Wirtschaftsteilnehmern berücksichtigen. Solche Umstände zeigen, dass im Wesentlichen die Erlangung eines Steuervorteils angestrebt wurde, auch wenn es im Übrigen um die Verfolgung wirtschaftlicher Ziele gegangen sein mag, die auf Erwägungen des Marketings, der Organisation und der Sicherheitsleistung beruhten.

 

Hinweis

1. Eine missbräuchliche Praxis liegt vor, wenn

  • die fraglichen Umsätze trotz formaler Anwendung der Bedingungen der einschlägigen Bestimmungen der 6. EG-RL und des zu ihrer Umsetzung erlassenen nationalen Rechts einen Steuervorteil zum Ergebnis haben, dessen Gewährung dem mit diesen Bestimmungen verfolgten Ziel zuwiderliefe;
  • aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte ersichtlich ist, dass mit den fraglichen Umsätzen im Wesentlichen ein Steuervorteil bezweckt wird.

Im Besprechungsurteil betont der EuGH, dass ein Missbrauch in diesem Sinn nicht nur dann vorliegt, wenn der Steuervorteil der einzige Zweck der Gestaltung war. Eine missbräuchliche Praxis liegt bereits dann vor, wenn mit dem fraglichen Umsatz oder den fraglichen Umsätzen im Wesentlichen ein Steuervorteil erlangt werden soll. Allein diese Kriterien sind -- ungeachtet dessen, wie § 42 AO n.F. auszulegen wäre -- für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung von Gestaltungen maßgeblich.

2. Für die Beurteilung können folgende Gesichtspunkte von Bedeutung sein: Grundsätzlich ist die Gestaltungsfreiheit des Unternehmers zu berücksichtigen. Für einen Unternehmer kann die Wahl zwischen steuerfreien Umsätzen und besteuerten Umsätzen auf einer Reihe von Gesichtspunkten, insbesondere auf steuerlichen Überlegungen im Zusammenhang mit dem objektiven Mehrwertsteuersystem, beruhen. Er ist -- bei mehreren Möglichkeiten -- nicht verpflichtet, den Umsatz zu wählen, der die höhere Mehrwertsteuerzahlung nach sich zieht.

3. Wenn jedoch ein Umsatz aus mehreren ­Leistungen besteht, stellt sich die Frage, ob er als einheitlicher Umsatz oder als mehrere eigene und selbstständige Einzelleistungen anzusehen ist, die getrennt zu beurteilen sind. Diese Beurteilung hat Folgen insbesondere für den Steuersatz und ...

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