Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. integrierte Versorgung. Anschubfinanzierung. Einbehalt nur bei geschlossenen Verträgen gerechtfertigt. Begriff des Einbehaltens. kein Rückforderungsanspruch nach den §§ 812ff BGB

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 140d SGB 5 ermächtigt die Krankenkassen nicht zur Rückforderung bereits gezahlter Rechnungsbeträge. In Anlehnung an den Begriff des Zurüchbehaltungsrechts können nur solche Mittel "einbehalten" werden, die noch nicht ausbezahlt wurden.

2. Ein Einbehalt ist nach § 140b SGB 5 nur für bereits geschlossene Verträge im Sinne von § 140b SGB 5 gerechtfertigt. Vertragsplanungen, -anbahnungen oder -vorbereitungen reichen für einen Einbehalt nicht aus, auch wenn sich der Vertragsabschluss weitgehend konkretisiert hat (vgl BSG vom 6.2.2008 - B 6 KA 27/07 = BSGE 100, 52 = SozR 4-2500 § 140d Nr 1; BSG vom 6.2.2008 - B 6 KA 5/07 R = SozR 4-2500 § 140a Nr 2).

3. Eine über den Wortlaut des § 140d SGB 5 hinausgehende Auslegung ist ein Eingriff in den gesetzlich garantierten Vergütungsanspruch und nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift nicht geboten.

4. Eine entsprechende Anwendung der §§ 812ff BGB kommt als Anspruchsgrundlage für einen Rückforderungsanspruch bereits gezahlter Rechnungsbeträge jedenfalls solange nicht in Betracht, wie der Einbehalt nicht wenigstens durch eine fehlerfreie Erklärung ausgeübt wurde.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 25.11.2010; Aktenzeichen B 3 KR 6/10 R)

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 30. April 2008 wird aufgehoben und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 48.887,50 EUR nebst 4 % Zinsen ab 16. April 2005 zu zahlen. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen. Die Revision wird zugelassen. Der Streitwert wird auf 48.897,33 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über einen Abzug nach § 140d Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) für die Anschubfinanzierung der integrierten Versorgung.

Die Klägerin betreibt ein nach § 108 SGB V zugelassenes Krankenhaus in S ... Mit Schreiben vom 7. April 2004 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie nunmehr die technischen Voraussetzungen für den Abschlag für die integrierte Versorgung im Einsatz habe. Sie habe seit Beginn des Jahres Verträge zur integrierten Versorgung nach § 140a SGB V abgeschlossen und sei daher berechtigt, den Abschlag in Höhe von 1 % einzubehalten. Es werde gebeten, die Systeme kurzfristig umzustellen, andernfalls würden die entsprechenden Beträge automatisch durch die Beklagte gekürzt. Bereits gezahlte Rechnungen würden ab 1. Januar 2004 zu einem späteren Zeitpunkt rückwirkend gekürzt. Diese rückwirkende Kürzung für die Krankenhausfälle mit Aufnahmedatum vom 1. Januar 2004 bis 30. April 2004 in Höhe von 1 % setzte die Beklagte mit Schreiben vom 11. Februar 2005 nebst Einzelaufstellung der Kürzungsbeträge auf 48.897,33 EUR fest. Am 23. Februar 2005 behielt die Beklagte die angekündigte Rückforderung im Verrechnungswege von einer Rechnung der Klägerin ein.

Gegen den Einbehalt zur Anschubfinanzierung zur integrierten Versorgung in Höhe von 1% für den Zeitraum vom 1. Januar 2004 bis 30. März 2005 legte die Klägerin mit Schreiben vom 13. April 2005 "Widerspruch" ein. Darin eingeschlossen sei auch der rückwirkende Abzug für den Zeitraum vom 1. Januar 2004 bis 30. April 2004. Nach einer Auskunft der Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung gGmbH (BQS, im Folgenden: Registrierungsstelle) vom 8. März 2005 ergebe sich, dass für den Zeitraum vom 1. Januar 2004 bis 31. Dezember 2004 ein Abzug in Höhe von maximal 0,14% zulässig wäre. Die Beklagte werde daher gebeten, den Beitragseinbehalt für den Zeitraum vom 1. Januar 2004 bis 31. März 2005 zu korrigieren.

Am 9. August 2005 hat die Klägerin eine Zahlungs- und eine Feststellungsklage mit dem Begehren erhoben, die Beklagte zur Zahlung in Höhe von 48.897,33 EUR nebst 4% Verzugszinsen seit dem 24. Februar 2005 zu verurteilen, sowie festzustellen, dass die Beklagte für den Zeitraum nach dem 30. April 2004 Rechnungen der Klägerin im Hinblick auf § 140b SGB V nur insoweit kürzen dürfe, als die einbehaltenen Mittel zur Umsetzung von nach § 140b SGB V geschlossenen Verträgen erforderlich seien. Die Klägerin hat ausgeführt, ein rückwirkender Abzug sei unzulässig, da der Abzug erst im April 2004 angekündigt worden sei und die Rechnungen im ersten Quartal 2004 ohne entsprechenden Vorbehalt gezahlt worden seien. § 140d SGB V regele keinen automatischen Einbehalt, sondern stelle diesen unter den Vorbehalt der Erforderlichkeit zur Umsetzung von Verträgen. Sollten entsprechende Integrationsverträge ab 1. Januar 2004 bereits existiert haben, sei der Beklagten die Möglichkeit der Einbehalte bekannt gewesen, und sie habe bewusst keinen Gebrauch davon gemacht und dadurch die Forderungen in voller Höhe anerkannt. Die Beklagte sei darüber hinaus nicht zu einem Abzug in Höhe von 1% berechtigt gewesen. Für den Zeitraum von Januar bis April 2004 gehe die Beklagte offensichtlich selbst led...

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