Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesamtsozialversicherungsbeitrag. Berechnung. illegale Beschäftigung. Fiktion einer Nettolohnvereinbarung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei einem illegal beschäftigten Arbeitnehmer sind die an diesen vom Arbeitgeber für die Arbeit geleisteten Zahlungen im Rahmen der Berechnung der vom Träger der gesetzlichen Rentenversicherung nachzufordernden Gesamtsozialversicherungsbeiträge nach § 14 Abs 2 S 2 SGB 4 als Nettoarbeitsentgelt anzusetzen.

2. Eine illegale Beschäftigung iS des § 14 Abs 2 S 2 SGB 4 liegt vor, wenn gegen für das Beschäftigungsverhältnis geltende gesetzliche Vorschriften verstoßen wird. Es genügt dabei etwa, wenn der Arbeitgeber seiner Meldepflicht nach § 28a Abs 1 Nr 1 und Abs 4 S 1 Nr 1 SGB 4 oder seiner Pflicht zur Abführung der Gesamtsozialversicherungsbeiträge nach § 28d S 1, § 28e Abs 1 S 1 und § 28h Abs 1 SGB 4 nicht nachgekommen ist. Darüber hinaus ist weder das kumulative Vorliegen mehrerer Gesetzesverstöße (etwa die Vorenthaltung von Abgaben und Steuern) noch ein voluntatives Element (etwa Vorsatz oder Fahrlässigkeit) notwendig.

3. Bei der Nacherhebung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen ist der Berechnung - soweit dem Arbeitgeber keine Lohnsteuerkarte vorgelegen hat - die Lohnsteuerklasse VI zugrunde zu legen.

4. Die nach zu entrichtenden Sozialversicherungsbeiträge und Steuern sind bei der Ermittlung des Bruttoarbeitsentgelts nach dem sog Abtastverfahren nur einmalig anzusetzen. die ermittelte Steuernachzahlung ist hingegen nicht als beitragsrechtlich relevanter geldwerter Vorteil einzustufen und der Beitragsberechnung daher nicht erneut zugrunde zu legen.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 09.11.2011; Aktenzeichen B 12 R 18/09 R)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 18.02.2009 wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Strittig ist die Rechtmäßigkeit des Beitragsbescheids, mit dem die Beklagte vom Kläger Gesamtsozialversicherungsbeiträge für die Zeit vom 01.11.2004 bis 30.11. 2005 in Höhe von insgesamt € 10.552,74 für die Beschäftigung des Beigeladenen zu 1. nachgefordert hat.

Der Kläger ist Inhaber eines Baggerbetriebes und tritt im Geschäftsverkehr unter dem Betriebkopf "Baggerbetrieb M L" auf. Der Beigeladene zu 1. ist polnischer Staatsangehöriger und hat für den Kläger während des streitgegenständlichen Zeitraums verschiedenen Arbeiten (Bagger fahren, Rohre verlegen, Aufräumen der Baustelle, Fertigung des Unterbaus bei anfallenden Pflasterarbeiten) verrichtet, um deren sozialversicherungsrechtliche Beurteilung es im vorliegenden Verfahren geht. Am 06.04.2006 führte die Beklagte beim Kläger eine Betriebsprüfung durch. Sie nahm hierbei einen "Subunternehmervertrag" zwischen dem Kläger und dem Beigeladenen zu 1. in Kopie zu den Akten, aus dem sich ergab, dass der Beigeladene zu 1., in der Zeit, in der er in Deutschland wohne, als Subunternehmer tätig sei, das Büro des Klägers nutze und beim Kläger zu Hause wohne. Weiter werde dem Beigeladenen zu 1. ein PKW Astra zur Nutzung bereitgestellt. Der Beigeladene zu 1. sei als Baggerfahrer im Einsatz; die Arbeitsvergütung werde auf Stundenbasis abgegolten in Höhe von € 10,-- je Stunde netto. Die Beklagte nahm weiter Kopien von Rechnungen des Beigeladenen zu 1. an den Kläger (die sich in ihrem Aussehen vom Schriftverkehr des Klägers nur dadurch unterschieden, dass darauf statt des Namens und der Bankverbindung des Klägers der Name und die Bankverbindung des Beigeladene zu 1. ausgewiesen war) zu den Akten. Schließlich zog die Beklagte noch die Anmeldung des Gewerbes "Baggerarbeiten (ohne Straßenbau)" durch den Beigeladenen zu 1. zum 25.10.2004 bei. In den Akten befindet sich weiter ein - von dem Mitarbeiter der Beklagten Alexander G. unterschriebener - beantworteter Fragebogen mit Angaben zu den betrieblichen Verhältnissen des Klägers.

In den Akten befindet sich schließlich ein in polnischer Sprache vom Beigeladenen zu 1. ausgefüllter "Fragebogen für Auftragnehmer" mit handschriftlichen Übersetzungen. Darin wird bestätigt, dass auch in der Praxis entsprechend der Vereinbarungen des "Subunternehmervertrages" verfahren wurde: Der Beigeladene zu 1. hat im Einzelnen angegeben, ab ca. Dezember 2004 mit Pausen für den Kläger als Helfer, bei Schaufelarbeiten und von Zeit zu Zeit bei Maschinen tätig gewesen zu sein, kein eigenes Kapital gehabt zu haben, mit Bohrmaschine, Wasserwaage, Kelle und Reibbrett tätig gewesen zu sein, 10 € pro Stunde auf der Grundlage einer Stundenlohnvereinbarung erhalten zu haben und keine eigene Reklame für seine Unternehmung gemacht zu haben. Eigene Geschäfts- oder Betriebsräume habe er nicht gehabt. Im Heimatland sei er nicht selbstständig oder selbstständig gewesen. Im Rahmen der Tätigkeiten für den Kläger seien ihm Weisungen hinsichtlich der Arbeitzeit, des Arbeitsortes und der Art der ...

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