Entscheidungsstichwort (Thema)

Pflegeversicherung. Beitragszuschlag nach § 55 Abs 3 SGB 11 ist verfassungsgemäß

 

Orientierungssatz

1. Die Regelung des § 55 SGB 11 führt nicht zu einer unangemessenen Beteiligung derjenigen Versicherten, die ungewollt kinderlos geblieben sind.

2. Auch aus dem Gesichtspunkt, dass Eltern, deren Kind verstorben ist, von der Pflicht zur Zahlung eines Zuschlags ausgenommen bleiben, lässt sich ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht herleiten.

3. Schließlich verstößt die Bestimmung des § 55 Abs 3 S 7 SGB 11, wonach der Beitragszuschlag nicht für die Geburtsjahrgänge vor 1940 erhoben wird, nicht gegen Art 3 Abs 1 GG.

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 02.09.2009; Aktenzeichen 1 BvR 1997/08)

BSG (Urteil vom 27.02.2008; Aktenzeichen B 12 P 2/07 R)

 

Tatbestand

Streitig ist die Höhe der vom Kläger zu zahlenden Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung.

Der ... 1968 geborene Kläger, der verheiratet ist und keine Kinder hat, ist bei der Beklagten pflegeversichert. Mit Bescheid vom 09.02.2005 setzte die Beklagte den von ihm zu entrichtenden Beitrag zur sozialen Pflegeversicherung mit Wirkung vom 01.01.2005 auf 68,74 € fest. Sie teilte mit, die Neuberechnung beruhe auf dem Gesetz zur Berücksichtigung der Kindererziehung im Beitragsrecht der sozialen Pflegeversicherung (Kinderberücksichtigungsgesetz - KiBG -), wonach der Beitragssatz für alle Versicherten, die keine Kinder erzögen oder erzogen hätten, um 0,25 % angehoben werde. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein und machte geltend, der erhöhte Beitragssatz verstoße gegen den im Grundgesetz (GG) garantierten Gleichheitsgrundsatz. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe Familien entlasten wollen, das KiBG entlaste indessen nicht Familien, sondern bestrafe Kinderlose. Seine Ehefrau könne aus medizinischen Gründen keine Kinder bekommen. Mit Widerspruchsbescheid vom 04.03.2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Die hiergegen am 14.03.2005 erhobene Klage hat das Sozialgericht Speyer durch Urteil vom 30.01.2007, das im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung ergangen ist, abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, gemäß § 55 Abs. 3 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) habe der Kläger einen Beitragszuschlag zu zahlen. Diese Bestimmung sei nicht verfassungswidrig. Mit der Einführung des Beitragszuschlags für Kinderlose habe der Gesetzgeber auf das Urteil des BVerfG vom 03.04.2001 (BVerfGE 103, 242) reagiert. Das BVerfG habe dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum bei der Ausgestaltung eines Artikel 3 Abs. 1 i. V. m. Artikel 6 Abs. 1 GG entsprechenden Beitragsrechts eingeräumt. Die Regelung des § 55 Abs. 3 SGB XI verstoße nicht gegen Artikel 3 GG. Der Kläger könne sich nicht darauf berufen, dass er und seine Ehefrau aus medizinischen Gründen keine Kinder bekommen könnten. Der Gesetzesbegründung sei zu entnehmen, dass die Gründe für die Kinderlosigkeit für die Zuschlagspflicht keine Rolle spielen sollten. Eine Motivforschung, weshalb jemand keine Kinder habe, könne und solle es nicht geben. Es gehe auch nicht darum, Kinderlose zu bestrafen.

Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 02.02.2007 zugestellte Urteil hat der Kläger am 01.03.2007 Berufung eingelegt. Er macht unter Hinweis auf eine Stellungnahme des Universitätsprofessors Dr. S vom 21.09.2004 geltend, § 55 Abs. 3 SGB XI verstoße gegen Artikel 3 Abs. 1 GG. Die Regelung, wonach auch unfreiwillig aus medizinischen Gründen kinderlos gebliebene Versicherte verpflichtet seien, einen Beitragszuschlag zu zahlen, stelle eine unangemessene Benachteiligung dieser Personengruppe dar, die dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz widerspreche. Ein Verstoß gegen Artikel 3 Abs. 1 GG liege auch darin, dass Personen vom Kinderzuschlag auch dann befreit würden, wenn deren Erwerbsphase abgeschlossen sei; dies stehe nicht in Einklang mit der maßgebenden Entscheidung des BVerfG. Zu berücksichtigen sei auch der Gesichtspunkt, dass Eltern, deren Kind nicht mehr lebe, vom Beitragszuschlag befreit seien, obwohl es vertretbar sei, die Situation dieser Personengruppe mit derjenigen Kinderloser zu vergleichen. Schließlich sei in der Privilegierung der vor dem 01.01.1940 geborenen Versicherten eine Verletzung des Gleichheitssatzes zu sehen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 30.01.2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 09.02.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.03.2005 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und macht geltend, es gehe vorliegend nicht darum, Kinderlose zu bestrafen. Zudem lasse der Kläger außer Acht, dass auch Pflegeeltern vom Beitragszuschlag freigestellt seien.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Prozessakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der Beratung waren, Bezug genommen.

 

Ent...

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