Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Kostenersatz durch Erben. Erbengemeinschaft. gesamtschuldnerische Haftung. Auswahlermessen des Sozialhilfeträgers. Nichterforderlichkeit einer Ermessensausübung bei Inanspruchnahme aller Erben in gleicher Höhe entsprechend ihrem Erbteil

 

Leitsatz (amtlich)

Bei der Geltendmachung von Kostenersatzansprüchen gegen Erben nach § 102 SGB 12 durch den Sozialhilfeträger ist regelmäßig kein Ermessen auszuüben, wenn alle Erben in gleicher Höhe entsprechend ihrem Erbteil in Anspruch genommen werden.

 

Normenkette

SGB XII § 102 Abs. 1 S. 1, Abs. 3, § 8 Abs. 4, § 85 Abs. 1; BGB §§ 2058, 421, 426

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Speyer vom 15.09.2014 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Beklagte zu Recht den Kläger als Erbe zum Kostenersatz in Höhe von 5.046,93 € für Sozialhilfeleistungen, die er der Erblasserin I S (S) in der Zeit vom 01.07.2001 bis 02.03.2008 gewährt hatte, in Anspruch genommen hat.

Die 1957 geborene und am …2008 verstorbene S, die behindert war, beantragte im Juli 2001, vertreten durch ihren Bruder H S , der sie betreute, die Gewährung von Eingliederungshilfe. Mit Bescheid vom 10.01.2002 bewilligte der Beklagte ihr Hilfe zur Beschäftigung in einer Werkstatt für Behinderte nach § 40 Abs. 1 Nr. 7 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) i.V.m. § 41 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) ab dem Aufnahmetag sowie Arbeitsförderungsgeld nach § 43 SGB IX. Die Hilfe wurde als erweiterte Hilfe nach § 43 Abs. 2 Nr. 7 BSHG gewährt. Der Beklagte teilte S in diesem Bescheid mit, dass die Bewilligung der Leistung vorerst bis zum Ende des Aufnahmemonats gelte und die darauffolgenden monatlichen Zahlungen jeweils als eine Weiterbewilligung der Hilfe anzusehen seien. S habe lediglich einen Kostenbetrag für das Mittagessen in Höhe von monatlich 40,00 € zu tragen. S erhielt vom 01.07.2001 bis zum 02.03.2008 die bewilligten Leistungen der Eingliederungshilfe zum Besuch des Arbeitsbereichs der Werkstatt für behinderte Menschen der S in O .

Der Kläger ist Erbe der S zu 1/16. Der Wert des Nachlasses betrug 293.596,50 € abzüglich 3.362,21 € an Nachlassverbindlichkeiten. Mit Bescheid vom 06.07.2010 forderte der Beklagte vom Kläger Kostenersatz in Höhe von 5.046,93 € gemäß § 102 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII). Er teilte dem Kläger mit, die Aufwendungen an Eingliederungshilfe hätten in der Zeit vom 01.07.2001 bis 02.03.2008 nach Abzug des Kostenbeitrags für das Mittagessen und des Freibetrags nach § 102 Abs. 1 SGB XII 82.904,97 € betragen. Nach Abzug des Freibetrags nach § 102 Abs. 3 SGB XII verbleibe ein Betrag von 80.750,97 €. Bei der Kostenersatzforderung handele es sich um eine Nachlassverbindlichkeit. Gefordert werde vom Kläger, entsprechend dessen Anteil am Nachlass, 1/16 der Gesamtforderung. Gründe, derentwegen die Inanspruchnahme des Klägers eine besondere Härte i.S.d. § 102 Abs. 3 Nr. 3 SGB XII bedeuten würde, seien nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein und machte geltend: Eine Kostenerstattungspflicht könne nicht in Betracht kommen, da der Beklagte S zu Unrecht Eingliederungshilfe gewährt habe. S habe bereits am 21.08.2002 ihren Bruder H S beerbt, so dass der Beklagte die Zahlungen hätte einstellen müssen. Das ererbte Vermögen sei mit 41.922,00 € Erbschaftssteuer belastet worden.

Durch Widerspruchsbescheid vom 07.10.2011 (zugestellt am 12.10.2011) wies das Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung den Widerspruch zurück und führte zur Begründung aus, § 102 SGB XII regele eine eigenständige, d.h. vom Bestehen von Ersatzansprüchen gegenüber dem Leistungsberechtigten unabhängige Erbenhaftung, die erst mit dem Tod des Erblassers entstehe. Die Erben seien auch dann in Anspruch zu nehmen, wenn der Leistungsberechtigte - wie hier die Verstorbene für die Eingliederungshilfe nach § 92 Abs. 2 Nr. 7 SGB XII - kein Einkommen und Vermögen einzusetzen gehabt habe. Eine besondere Härte liege hier nicht vor. Als Miterbe könne der Kläger über seinen Anteil am Nachlass verfügen bzw. jederzeit die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft verlangen.

Hiergegen hat der Kläger am 09.11.2011 Klage erhoben. Er hat im Wesentlichen geltend gemacht, die Bewilligung der Eingliederungshilfe an S sei im vorliegenden Rechtsstreit auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen; die Höhe der von der Beklagten geltend gemachten Forderung sei nicht nachvollziehbar.

Durch Gerichtsbescheid vom 15.09.2014 hat das Sozialgericht Speyer den Bescheid vom 06.07.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.10.2011 aufgehoben und zur Begründung ausgeführt: Der angefochtene Bescheid sei ermessensfehlerhaft. Es liege ein Ermessensausfall, zumindest aber ein Ermessensfehlgebrauch vor. Bei der Inanspruchnahme eines Miterben nach § 102 SGB XII komme dem Sozialhilfeträger grundsätzlich ein...

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