Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Zulässigkeit der Berufung gem § 144 Abs 1 S 1 SGG. Wert des Beschwerdegegenstandes. Rechtsstreit über Wirksamkeit einer Klagerücknahme nach § 102 Abs 1 S 2 SGG

 

Leitsatz (amtlich)

Gegenstand des auf Fortsetzung infolge einer Klagerücknahme gem § 102 Abs 1 S 2 SGG beendeten Verfahrens ist das ursprünglich mit der Klage verfolgte Begehren.

 

Orientierungssatz

1. Der Streit um die Fortsetzung eines gemäß § 102 Abs 1 S 2 SGG beendeten Verfahrens stellt lediglich eine Zwischenstreit dar, der nicht den Streitgegenstand bestimmt.

2. Die Berufungsbeschränkung stellt auch im Falle der Entscheidung über die Wirksamkeit einer Klagerücknahme keine unzulässige Einschränkung des Rechtsschutzes dar.

 

Normenkette

SGG § 144 Abs. 1 S. 1, § 102 Abs. 1 S. 2; GG Art. 19 Abs. 4

 

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 16.07.2014 wird verworfen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheides, mit dem die Bewilligung von Leistungen für den Zeitraum Oktober 2012 teilweise aufgehoben wurde und ob der diesbezügliche Rechtsstreit (Verfahren S 2 AS 72/13) vor dem Sozialgericht Koblenz (SG) durch Klagerücknahme beendet ist.

Mit an die Klägerin adressiertem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 17.12.2012 hob die Beklagte die Bewilligung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Monat Oktober 2012 teilweise in Höhe von 90,76 Euro auf und forderte diesen Betrag von der Klägerin zurück. Der von der Klägerin erhobene Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 04.01.2013). Prozesskostenhilfe für die am 23.01.2013 erhobene Klage wurde mit Beschluss des SG vom 01.03.2013 abgelehnt. Die hiergegen erhobene Beschwerde blieb ohne Erfolg (Beschluss des 3. Senats des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 13.1.2013 - L 3 AS 129/13 B). Die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem SG im Verfahren S 2 AS 72/13 vom 23.04.2014 hat folgenden Inhalt: “Die Vorsitzende eröffnet die mündliche Verhandlung und trägt den Sachverhalt vor. Das Sach- und Streitverhältnis wird erörtert. Die Beteiligten erhalten das Wort. Nach ausführlicher Erörterung des Sach- und Streitstandes erklärt die Klägerin, dass sie die Klage zurücknimmt. l.d.u.g.„. Die Niederschrift ist von der Vorsitzenden der 2. Kammer sowie der Justizbeschäftigten S als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, die bei der mündlichen Verhandlung zugegen war, unterzeichnet.

Nachfolgend hat die Klägerin mit Schreiben vom 24.04.2014 ihren rechtlichen Standpunkt bekräftigt. Mit weiterem Schreiben vom 26.04.2014 widersprach sie der Mitteilung, dass das Verfahren durch Klagerücknahme beendet sei. Sie habe aufgrund ihrer Schwerhörigkeit nicht alles verstanden. Gleichwohl habe sie noch mit einem günstigen Urteil gerechnet. Sie sei von ihrem Recht überzeugt und hätte die Klage - bestärkt von ihrem Anwalt - nicht zurückgenommen. Sie sei sich sicher, dass sie nicht gefragt worden sei, ob sie die Klage zurücknehme.

Daraufhin wurde das Verfahren wieder aufgenommen und unter dem Aktenzeichen S 2 AS 340/14 geführt. Mit Urteil vom 16.07.2014 wies das SG die Klage ab. Im Termin vom 23.04.2014 sei eine wirksame Klagerücknahme erfolgt und damit der Rechtsstreit S 2 AS 72/13 in der Hauptsache erledigt. Die Klägerin habe nach erneuter Erörterung der Sach- und Rechtslage im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 23.04.2014 die Klagerücknahme erklärt. Ein Widerruf der Klagerücknahme sei im vorliegenden Fall nicht möglich, weil keine Restitutionsgründe im Sinne des § 179 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gegeben seien.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 12.08.2014 zugestellte Urteil am 19.08.2014 Berufung eingelegt. In dem Verfahren vor dem Sozialgericht Koblenz seien Beweise nicht gewürdigt worden und ihr Anspruch auf rechtliches Gehör sei verletzt worden. Bei Würdigung aller (neuen) Tatsachen hätte ein positives Urteil ergehen müssen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 16.07.2014 sowie den Bescheid vom 17.12.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.01.2013 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen

Zur Begründung bezieht er sich auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen. Dieser war Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist gemäß § 158 Satz 1 SGG zu verwerfen, da sie nicht statthaft ist.

Gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG bedarf die Berufung bei einer Klage, die - wie hier ursprünglich - einen auf Geld- oder Sachleistungen gerichteten Verwaltungsakt betrifft, der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 750 Euro nicht übersteigt.

Vorliegend übersteigt der Wert des Beschwerdegegenst...

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