Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsärztliche Versorgung. Akteneinsicht und Auswahlentscheidung im Nachbesetzungsverfahren

 

Orientierungssatz

1. Ein Anspruch auf Akteneinsicht der bei einer Nachbesetzung eines Vertragsarztsitzes in einer Gemeinschaftspraxis nicht berücksichtigten Konkurrenten bezieht sich auf die gesamten Schriftstücke, die die Zulassungsgremien für das Zulassungsverfahren angefertigt oder beigezogen haben.

2. Was zu den das Verwaltungsverfahren betreffenden Akten rechnet, ist objektiv zu beurteilen und nicht vom Willen der Zulassungsgremien abhängig. Der Anspruch auf Akteneinsicht der unberücksichtigten Konkurrenten erfasst auch den Gemeinschaftspraxisvertrag zwischen dem zugelassenen Bewerber und dem verbliebenen (Mit-)Inhaber der Gemeinschaftspraxis.

3. Ein Anspruch auf Akteneinsicht steht unter dem Vorbehalt, dass die Akteneinsicht zur Verteidigung oder Geltendmachung der rechtlichen Interessen notwendig ist. Das ist in Konkurrentenstreitverfahren regelhaft zu bejahen. Nur in Kenntnis des Inhalts der die Mitbewerber betreffenden Verwaltungsvorgänge sowie der dem Bewerbungsverfahren zugrundeliegenden Verträge sind die abgelehnten Bewerber in der Lage zu beurteilen, ob die ihnen nachteilige Auswahlentscheidung auf zutreffende tatsächliche und rechtliche Grundlagen gestützt ist.

4. Die Datenschutzregelungen der §§ 67ff SGB 10 rechtfertigen es nicht, den Anspruch auf Akteneinsicht einzugrenzen oder zu verweigern.

5. Wird eine beantragte Akteneinsicht zu Unrecht verweigert, macht dies den Beschluss des Berufungsausschusses formell fehlerhaft. Dieser Verfahrensfehler ist nicht heilbar. Der Beschluss ist in Fällen "faktischer Alternativlosigkeit" dennoch nicht aufhebbar.

6. Die Auswahlkriterien im Rahmen des § 103 Abs 4 S 4 SGB 5 sind nicht abschließend. Ergänzende Auswahlkriterien können ua sein: Das Interesse des verbleibenden Partners, mit den Mitbewerben keine Gemeinschaftspraxis führen zu wollen; die Tätigkeit des zugelassenen Bewerbers als Praxisverweser in der Gemeinschaftspraxis; die Dauer der Wartelisteneintragung; die unklare Motivationslage der Mitbewerber; die erklärte Bereitschaft des Bewerbers, die Gemeinschaftspraxis fortführen zu wollen.

7. Die berufliche Eignung der Bewerber ist hinsichtlich des zu besetzenden Vertragsarztsitzes zu prüfen. War der ausgeschiedene Vertragsarzt überwiegend nuklearmedizinisch tätig, sind die Zulassungsgremien nach sorgsamer Abwägung dennoch nicht gehindert, einen nicht nuklearmedizinisch tätigen Facharzt für diagnostische Radiologie als Nachfolger auf den ausgeschriebenen Vertragsarztsitz "Facharzt für Radiologie" zuzulassen.

8. Für die Prüfung, ob und inwieweit die Auswahlentscheidung des Berufungsausschusses rechtmäßig ist, ist allein der Zeitpunkt dieser Entscheidung maßgebend.

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 03.05.2005 (S 9 (26) KA 126/03) wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Beklagten, des Beigeladenen 9) sowie der Beigeladenen 8) und die Gerichtskosten. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit der Auswahlentscheidung bei der Nachbesetzung des Vertragsarztsitzes eines Facharztes für Radiologie in V.

In der Stadt V bestand bis zum 14.06.2003 die fachübergreifende Gemeinschaftspraxis des Facharztes für Radiologie Dr. L (L.) und der Beigel. 10), einer Fachärztin für Nuklearmedizin, mit dem Sitz in V, P-straße 0. Der Planungsbereich V ist infolge Überversorgung (rund 150 %) für Radiologen gesperrt.

L. hatte im Januar 2003 die Ausschreibung seines Vertragsarztsitzes mit dem Ziel beantragt, auf die Zulassung mit Ablauf des 30.09.2003 zu verzichten. Die Beigel. 8) schrieb hierauf in der Ausgabe 03/03 des Westfälischen Ärzteblattes die Praxis wie folgt aus: "Radiologische Praxis im Kreis V (neuer Partner für Gemeinschaftspraxis)."

Auf den ausgeschriebenen Vertragsarztsitz bewarben sich u.a. der Kläger und der Beigel. 9). Der 1956 geborene Kläger ist seit dem 12.12.1985 approbiert und hat die Anerkennung als Facharzt für Radiologie seit dem 12.12.1991. In das Arztregister eingetragen wurde er am 27.09.1992. Seit Oktober 1992 ist er in I als Facharzt für Radiologe niedergelassen.

Der 1956 geborene Beigel. 9) ist seit dem 02.11.1983 approbiert. Seit dem 05.12.1992 besitzt er die Anerkennung als Arzt für radiologische Diagnostik und seit dem 07.08.1999 die als Facharzt für diagnostische Radiologie. Er war seit März 1993 Oberarzt in der radiologischen Abteilung des St. L-Hospitals in V tätig. Seit Mai 2002 war er zunächst Vertreter des erkrankten L. und nach dessen Tod am 00.06.2003 Verweser in der Gemeinschaftspraxis.

Der Beigel. 9) hatte mit der Beigel. 10) und L. zu dessen Lebzeiten einen Vertrag über die Übernahme von dessen Gesellschaftsanteil an der Gemeinschaftspraxis mit der Beigel. 10) (Praxisübergabevertrag) für die Zeit ab 01.10.2003 geschlossen. Die Beigel. 8) hat den Verkehrswert der Vertrag...

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