Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Arbeitsunfall. psychische Gesundheitsstörung. psychischer Erstschaden. Initialreaktion. posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Kriterium B und C nach ICD 10/DSM-5. Fortsetzung der Tätigkeit im Kassenbereich nach Banküberfall

 

Orientierungssatz

1. Im Rahmen der Prüfung des Vorliegens einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) ist zeitnah zum Unfallereignis eine sog Initialreaktion iS eines psychischen Erstschadens zu sichern (B-Kriterium nach ICD 10/DSM-5).

2. Fehlt das zur Sicherung einer PTBS-Diagnose erforderliche Vermeidungsverhalten (C-Kriterium nach ICD 10/DSM-5), so ist die Anerkennung einer PTBS als Folge des Arbeitsunfalls ausgeschlossen.

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 01.06.2017 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um Rentenansprüche.

Die am 00.00.1975 geborene Klägerin absolvierte von 1992 bis 1995 eine Ausbildung zur Bankkaufrau und arbeitete ab Juli 1995 bis Ende Juli 1997 in der Geschäftsstelle W-straße der Volksbank H. Im Anschluss daran war sie bis Ende April 2001 Mitarbeiterin im Filialbankgeschäft der Hauptgeschäftsstelle in H mit Kundenkontakt tätig. Ab Mai 2001 wechselte sie in den Marketingbereich und übernahm im Herbst 2004 die Vertriebskoordination im Bereich des Privatkundengeschäfts und schulte daneben Mitarbeiter in der Anwendung vertriebsunterstützender EDV-Programme. Nach der Geburt ihres Sohnes M im Februar 2006 ging sie in Elternzeit und kehrte 2008 zunächst in die Filiale W-straße, ab 2010 in eine andere Filiale in H mit einer Vollzeitbeschäftigung zurück. 2016 gab die Klägerin ihre Tätigkeit bei der Bank auf und arbeitet nunmehr mit 25 Wochenstunden im Marketingbereich eines Bäckereibetriebes.

Am 17.12.1992 ereignete sich in der Ausbildungsfiliale ein Banküberfall, bei dem die Klägerin zwar in der Filiale anwesend war, vom Überfallgeschehen selbst jedoch nichts mitbekommen hatte, sondern erst unmittelbar danach von einer Kollegin informiert worden war. Eine Unfallanzeige wurde nicht erstattet.

Am 24.02.1997 betraten gegen 12.05h zwei Täter die Filiale W-straße in H und zwangen fünf Angestellte der Bank sowie die anwesenden Kunden mit einer Faustfeuerwaffe zu Boden. Dabei hielt einer der Täter der Klägerin die Waffe an den Hals und forderte eine im Kassenbereich stehende Kollegin auf, die Tür zur Kassenbox zu öffnen. Sie verschafften sich so Zugang zum Tresor und erbeuteten 144.483 DM sowie 41.653 HFL. Nach ihrer polizeilichen Vernehmung nahm die Klägerin ihre Tätigkeit am nächsten Tag wieder auf.

Am 18.07.1997 stürmten zwei mit schwarzen Integralhelmen maskierte und bewaffnete Täter die Filiale W-straße und forderten die anwesenden Angestellten und Kunden auf, sich auf den Boden zu legen. Die im Kassenbereich arbeitende Klägerin öffnete, als sie die Täter sah, die Tür zum Kassenbereich. Die Täter gelangten in die Kassenbox und erbeuteten 7.030 DM sowie 8.860 HFL. Nach zweiwöchiger, vom Hausarzt festgestellter Arbeitsunfähigkeit wegen psychovegetativer Fehlregulation nahm die Klägerin ihre Tätigkeit (nunmehr in der Hauptstelle) der Bank wieder auf. Seitens der Arbeitgeberin der Klägerin waren sowohl hinsichtlich des Ereignisses vom Februar 1997 wie auch Juli 1997 eine psychologische Gruppen-Betreuung der betroffenen Mitarbeiter durchgeführt worden. Weitere psychiatrische Behandlungen erfolgten zunächst nicht.

Mit Schreiben vom 15.12.1999 trat die Klägerin unter Hinweis auf eine anstehende Gerichtsverhandlung vor dem Landgericht Münster wegen des Überfalls am 18.07.1997 um psychologische Unterstützung. Die Beklagte veranlasste auf Wunsch der Klägerin eine kombinierte Psychotrauma-Schmerztherapie, die vom 15.08.2000 bis 25.09.2000 in der N-Kurklinik, S, durchgeführt wurde. Im Abschlussbericht vom 04.10.2000 führte Frau Dr. T aus, die für die Diagnose einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) erforderlichen Merkmale wie Vermeidungssymptome und allgemeine Reagibilität seien nicht im notwendigen Maße ausgeprägt. Sie gehe von einer Anpassungsstörung aus, die sich im Laufe der Behandlung stabilisiert habe. Eine psychopathologische Diagnose sei nicht mehr zu vergeben.

Mit Schreiben vom 21.11.2006 bat die Klägerin erneut um Unterstützung, da sie seit den Banküberfällen an einem Psychotrauma leide. Die Beklagte zog einen Bericht der Psychologischen Familienberatungsstelle Diakonie in H vom 10.04.2007 bei, in der im Rahmen einer Paartherapie die Verdachtsdiagnose einer Anpassungsstörung mit Angst und depressiver Reaktion gemischt gestellt worden war. Das Vorliegen einer PTBS habe sich nicht bestätigt. Anschließend führte die Dipl.-Psych. S auf Veranlassung der Beklagten ab dem 19.05.2008 15 psychotherapeutische Sitzungen durch, die anschließend zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung bis Dezember 2012 fortgeführt wurden. Zwischenzeitli...

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