Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Klagerücknahmefiktion. Betreibensaufforderung. Mitwirkungspflichten

 

Orientierungssatz

Zum Wegfall des Rechtsschutzinteresses, wenn ein anwaltlich vertretener Kläger angekündigt hat, nach Akteneinsichtnahme eine Stellungnahme abgeben zu wollen, diese jedoch über einen Zeitraum von mehr als zwei Monaten nicht vorlegt und er auch nicht innerhalb der dreimonatigen Frist einer daraufhin erfolgten Betreibensaufforderung des Gerichts reagiert.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 04.04.2017; Aktenzeichen B 4 AS 2/16 R)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 17.06.2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Frage, ob das Verfahren durch Rücknahmefiktion beendet ist.

Im zu Grunde liegenden Verfahren wendet der Kläger sich gegen die im Bescheid vom 04.07.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.08.2008 ausgesprochene Aufhebung und geltend gemachte Rückforderung bewilligter Leistungen nach dem SGB II. Die Beklagte stützt die Aufhebung darauf, dass die Ehefrau des Klägers Einnahmen gehabt habe, die bei der Berechnung der Leistungen nicht berücksichtigt worden seien. Der Kläger stellte sich auf den Standpunkt, er habe von den Einnahmen seiner - inzwischen - Ex-Ehefrau nichts gewusst, weil damals schon Spannungen zwischen ihnen bestanden hätten.

Am 22.09.2008 hat der Kläger vor dem Sozialgericht Dortmund Klage erhoben. Mit Schreiben vom 14.10.2008 richtete das Sozialgericht an den Bevollmächtigten die Anfrage, ob es Beanstandungen gebe gegenüber der Berechnung des Übergangsgeldes. Nachdem hierauf keine Reaktion erfolgte, wurde mit Verfügung vom 18.11.2008 an die Erledigung erinnert. Daraufhin teilte der Bevollmächtigte mit Schriftsatz vom 25.11.2008, der am gleichen Tage beim Sozialgericht einging, mit, er beantrage zunächst Akteneinsicht und wolle danach Stellung nehmen. Mit Verfügung vom 27.11.2008 übersandte das Sozialgericht dem Bevollmächtigten eine Korrektur des Schreibens vom 14.10.2008, in der der Begriff Übergangsgeld gegen den richtigen Begriff Überzahlungsbetrag ausgetauscht wurde. Nach erfolgter Akteneinsicht teilte der Bevollmächtigte mit Schriftsatz vom 18.12.2008 mit, es werde noch Stellung genommen, die Überzahlungsbeträge seien auf jeden Fall zu hoch.

Nachdem daraufhin keine weitere Stellungnahme erfolgte, stellte das Sozialgericht dem Bevollmächtigten am 02.03.2009 eine Betreibensaufforderung zu. Darin wurde er insbesondere aufgefordert, die angekündigte Stellungnahme einzureichen und das Schreiben des Gerichts vom 14.10.2008 zu beantworten. Ferner wurde er darauf hingewiesen, falls er dieser Aufforderung nicht binnen drei Monaten nachkommen werde, gelte die Klage nach § 102 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als zurückgenommen. Die Betreibensaufforderung war vom Vorsitzenden unterschrieben. Nachdem keine Reaktion erfolgte, wurde das Verfahren als erledigt ausgetragen und die Beteiligten mit Verfügung vom 19.06.2009 darüber informiert, dass das Verfahren nach § 102 Abs. 2 SGG als erledigt betrachtet werde.

Daraufhin teilte der Bevollmächtigte mit einem am 23.06.2009 eingegangenen Schriftsatz mit, es werde nicht akzeptiert, dass das Verfahren als erledigt gelte. Die Voraussetzungen des § 102 Abs. 2 SGG lägen nicht vor. Anhaltspunkte für einen Wegfall des Rechtsschutzinteresses bestünden nicht, die Klage sei schon mit Erhebung begründet worden. Auch nach der Akteneinsicht sei mitgeteilt worden, dass Interesse am Fortgang des Verfahrens bestünde.

Der Kläger hat beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund von 17.06.2013 abzuändern und den Bescheid vom 04.07.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.08.2008 aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte vertrat die Auffassung, die Voraussetzungen des § 102 Abs. 2 SGG seien gegeben.

Das Sozialgericht hat daraufhin mit Urteil vom 17.06.2013 festgestellt, dass die Klage zurückgenommen ist. Die Voraussetzungen des § 102 Abs. 2 SGG lägen vor. Dem Bevollmächtigten des Klägers sei eine Betreibensaufforderung zugestellt worden, die alle formalen Voraussetzungen erfüllt habe. Weitere sachliche Voraussetzung für die Klagerücknahmefiktion sei es, dass das Rechtsschutzinteresse entfallen sei. Diese Voraussetzung sei gegeben, denn der Kläger habe angekündigt, eine Stellungnahme abgeben zu wollen. Dies sei innerhalb eines Zeitraums von zwei Monaten vor Abfassen der Betreibensaufforderung nicht erfolgt, daraus habe sich der Eindruck aufgedrängt, dass kein Interesse mehr am Verfahren bestünde.

Das Urteil wurde dem Bevollmächtigten am 01.07.2013 zugestellt.

Hiergegen richtet sich die Berufung vom 11.07.2013. Die Voraussetzungen des § 102 Abs. 2 SGG seien ersichtlich nicht gegeben. Das Sozialgericht verkenne den Ausnahmecharakter der Vorschrift. Hier sei vielmehr erkennbar, dass das Gericht das...

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