Entscheidungsstichwort (Thema)

Berufsunfähigkeit. zumutbarer Verweisungsberuf. Auslieferungsfahrer im Arzneimittelgroßhandel

 

Orientierungssatz

Zur Verweisbarkeit eines bergmännischen Facharbeiters (Hauer) auf die Tätigkeit eines Auslieferungsfahrers im Arzneimittelgroßhandel.

 

Tatbestand

Umstritten ist, ob die Beklagte dem Kläger Rente wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren hat.

Der 1952 in Marokko geborene Kläger hat keinen Ausbildungsberuf erlernt. In der Bundesrepublik Deutschland war er von 1973 -- 1989 beim Bergbauunternehmen H beschäftigt, und zwar zunächst als Neubergmann, ab Februar 1978 als Hauer im Steckenausbau und Transport (Lohngruppe 09 der Lohnordnung für den Rheinisch-Westfälischen Steinkohlenbergbau). Das Arbeitsverhältnis endete, nachdem der Sozialmedizinische Dienst (SMD) der Beklagten am 06.07.1989 eine Arbeitsplatzwechselempfehlung ausgesprochen und die Firma H mitgeteilt hatte, mangels eines Übertagebetriebs dem Kläger keinen leidensgerechten Arbeitsplatz anbieten zu können. Die Beklagte bewilligte daraufhin Rente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit ab 01.07.1989. Die Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit lehnte sie mit dem nach Klagerücknahme (SG Aachen S 2 KN 35/90) bestandskräftigen Bescheid vom 17.01.1990 ab.

Vom 03.06.1991 bis 02.06.1992 und 22.06.1992 bis 21.06.1993 war der Kläger im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme als Gärtnergehilfe bei der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule in A beschäftigt. Seit 22.06.1993 ist er arbeitslos.

Am 21.12.1993 beantragte der Kläger -- erneut -- Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Die Beklagte ließ ihn am 05.05.1994 durch den Sozialmediziner R untersuchen, der ein leichtgradiges Übergewicht, ein allergisches Asthma mit Sensibilisierung auf Milbe I und II, ein rezidivierendes Lendenwirbelsäulensyndrom bei geringer Fehlhaltung und eine dermatitis atopica mit Sebostase feststellte und den Kläger noch für fähig hielt, leichte und mittelschwere Arbeiten ohne besondere Gefährdung durch Nässe, Kälte und Zugluft sowie ohne besondere Exposition gegenüber Gasen, Stäuben, Dämpfen und Rauch vollschichtig zu verrichten.

Mit Bescheid vom 14.06.1994 und Widerspruchsbescheid vom 22.03.1995 lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit der Begründung ab, der Kläger sei weder erwerbs- noch berufsunfähig, weil er nach dem eingeholten Gutachten u.a. noch als Gabelstaplerfahrer arbeiten könne.

Mit der am 31.03.1995 erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Er ist im Auftrag des Sozialgerichts am 11.12.1995 durch den Arzt für Orthopädie Dr. J untersucht worden. Der Sachverständige hat bei ihm im wesentlichen folgendes festgestellt:

1.

ein muskuläres, beginnend auch degeneratives Kopf-Halswirbelsäulen-Schulter-Arm-Syndrom mit Verspannungen der Schulter-Nacken-Muskulatur, beginnenden Verschleißveränderungen im Sinne einer Spondylarthrose und einer Funktionsbehinderung,

2.

ein statisch-muskuläres, beginnend auch degeneratives Brustwirbelsäulensyndrom mit Verspannungen der Rückenmuskulatur im Brustwirbelsäulenbereich bei beginnenden Verschleißveränderungen im Sinne einer arthrosis deformans der Costotransversalgelenke mit leichter Rechtsausbiegung und Funktionsbehinderung,

3.

ein statisch-muskuläres, beginnend auch degeneratives Lendenwirbelsäulensyndrom mit Verspannungen der Rückenmuskulatur im Lendenwirbelsäulenbereich und beginnenden Verschleißveränderungen im Sinne einer Spondylarthrose bei Linksausbiegung und Funktionsbehinderung,

4.

eine beginnende Knorpelschädigung der Rückfläche beider Kniescheiben im Sinne einer chondropathia patellae ohne Funktionsbehinderung,

5.

einen Senk-Spreizfuß beiderseits.

Er hat die Auffassung vertreten, diese Gesundheitsstörungen hinderten den Kläger nicht, körperlich leichte und mittelschwere Arbeiten im Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen vollschichtig zu verrichten. Er solle aber Zwangshaltungen der Wirbelsäule meiden, wegen der muskulären Verspannungen nicht -- wie im Akkord oder am Fließband -- unter Zeitdruck arbeiten, nicht auf Leitern oder Gerüste steigen und wegen der Wetterfühligkeit keine Tätigkeiten im Freien unter den Einwirkungen von Kälte, Zugluft, Nässe und Temperaturschwankungen verrichten.

Durch Urteil vom 30.09.1996 hat das Sozialgericht den Bescheid vom 14.06.1994 und den Widerspruchsbescheid vom 22.03.1995 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab 01.01.1994 Rente wegen Berufsunfähigkeit zu bewilligen. Zur Begründung hat es ausgeführt, für den vom Bergbau abgekehrten Kläger gebe es keine Verweisungstätigkeiten, die ihm als bergmännischen Facharbeiter sozial und gesundheitlich zugemutet werden könnten. So könne er nach dem eingeholten Gutachten weder als Gabelstaplerfahrer noch als Hauswart in der Wohnungswirtschaft arbeiten. Die Tätigkeit des Auslieferungsfahrers im Arzneimittelgroßhandel komme ebenfalls nicht in Betracht, weil die Drehbeweglichkeit des Kopfes des Klägers für das häufige Ein- und Ausparken nicht ausreiche und der Kläger in diesem Beruf Wi...

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