Entscheidungsstichwort (Thema)

Verpflichtung des Sozialhilfeträgers zur Tragung doppelter Mietaufwendungen bei Auszug wegen Unterbringung im Pflegeheim

 

Leitsatz (amtlich)

1. Doppelte Mietaufwendungen sind dann als sozialhilferechtlicher Bedarf zu übernehmen, wenn der Auszug aus der bisherigen Wohnung notwendig war und deswegen die Mietzeiträume wegen der Kündigungsfrist nicht nahtlos aufeinander abgestimmt werden konnten.

2. Der Hilfeempfänger muss alles im mögliche getan haben, die Aufwendungen für die frühere Wohnung so gering wie möglich zu halten, wozu auch die Suche nach einem Nachmieter gehört.

 

Orientierungssatz

War der Hilfebedürftige infolge fehlender privater Betreuungsalternativen gezwungen, in ein Pflegeheim zu ziehen und konnte er seine bisherige Wohnung bis zur dortigen Aufnahme nicht nahtlos kündigen, so steht einer entsprechenden Verurteilung des Sozialhilfeträgers zur Tragung der entstandenen doppelten Mietaufwendungen der Grundsatz "keine Sozialhilfe für die Vergangenheit" nicht entgegen, wenn trotz intensiver Bemühungen ein Nachmieter nicht rechtzeitig gefunden werden konnte.

 

Normenkette

SGB XII § 29 Abs. 1 Sätze 1-2

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 19.12.2007 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte die Kosten für die von der Klägerin angemietete Wohnung "Am L 00" in I für die Monate Oktober und November 2006 zu zahlen hat.

Die 1916 geborene schwerbehinderte (GdB 90 und Nachteilsausgleich "G") Klägerin bewohnte im Jahr 2006 die Wohnung "Am L 00" in I zu einem Mietzins von zuletzt insgesamt 421,14 Euro. Diese Wohnung befindet sich im 2. Stock, wobei das Haus über keinen Aufzug verfügt. Vom 26.06.2006 bis zum 17.07.2006 befand sich die seinerzeit 90-jährige Klägerin im Krankenhaus in X. In medizinische Behandlung begab sie sich wegen Gebrechlichkeit, massiven Rückenproblemen und dauerhaften Schmerzen. Der Krankenhausbehandlung schloss sich eine geriatrische Rehabilitationsmaßnahme im Haus D in B an, die bis zum 06.08.2006 andauerte. Danach befand sich die Klägerin vom 07.08.2006 bis zum 03.09.2006 in stationärer Kurzzeitpflege im Senioren- und Sozialzentrum I (Haus S). Nach Auskunft der Frau L (Haus S) war für die Klägerin zunächst nur eine Kurzzeitpflege geplant. In deren Verlauf habe sich jedoch ein höherer Pflegebedarf abgezeichnet, so dass die Klägerin dann in die vollstationäre Pflege aufgenommen worden sei. Ab dem 04.09.2006 ist ihr Pflegestufe I zuerkannt. Am 22.08.2006 unterzeichnete die Klägerin eine Betreuungsverfügung und erteilte sowohl ihrem Sohn als auch ihrer zur Betreuerin bestellten Schwiegertochter eine Vorsorgevollmacht. Sohn und Schwiegertochter können die Klägerin wegen eigener Berufstätigkeit nicht betreuen.

Unter dem 23.08.2006 kündigte die Klägerin das Mietverhältnis der alten Wohnung. Mit Bescheid vom 26.09.2006 bewilligte ihr die Beklagte auf Antrag vom 28.08.2006 Leistungen zum notwendigen Lebensunterhalt in Einrichtungen nach § 35 12. Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII), weil das Einkommen und Vermögen der Klägerin nicht zur Deckung der entstehenden Kosten ausreichte.

Mit Schreiben vom 13.09.2006 (Eingang: 15.09.2006) beantragte die Klägerin die Übernahme der Unterkunftskosten für die Monate September bis November 2006 für die Wohnung "Am L 00". Mit Bescheid vom 26.09.2006 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung verwies sie darauf, dass die Übernahme der Unterkunftskosten zur Sicherstellung der Unterkunft nicht erforderlich sei, da die Unterbringung im Pflegeheim gewährleistet sei.

Zur Begründung ihres dagegen am 15.10.2006 eingelegten Widerspruchs trug die Klägerin vor, es habe sich während der Rehabilitationsmaßnahme gezeigt, dass sie nicht mehr alleine leben könne und zukünftig auf die Hilfe Dritter angewiesen sei.

Mit Bescheid vom 13.03.2007 half die Beklagte dem Widerspruch teilweise ab und übernahm die Unterkunftskosten für den Monat September 2006 mit der Begründung, dass vor der Heimaufnahme bereits die Miete für September 2006 gezahlt gewesen sei. Im Übrigen wies sie den Widerspruch zurück. Zur Begründung verwies sie darauf, dass ein Anspruch auf Sozialhilfe nur auf die Beseitigung eines gegenwärtigen Notstandes gerichtet sein könne. Auf Leistungen für die Vergangenheit bestehe kein Anspruch. Es sei nicht Aufgabe der Sozialhilfe, Zahlungsverpflichtungen des Hilfesuchenden zu übernehmen, die gerade nicht zur Behebung einer gegenwärtigen Notlage geeignet seien oder auch Schulden zu tilgen, die der Hilfesuchende eingegangen sei. Kosten für eine Wohnung, die vom Hilfeempfänger dauerhaft nicht mehr bewohnt werde, gehörten nicht zum sozialhilferechtlichen Bedarf.

Hiergegen hat die Klägerin am 30.03.2007 Klage erhoben. Sie hat von ihrer Vermieterin während des Klageverfahrens für die Monate Oktober und November 2006 eine Nachzahlung in Höhe von insgesamt 6,56 Euro erhalten.

Die Klägerin ...

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