Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. künstliche Befruchtung. Verfassungsmäßigkeit der oberen Altersgrenze für Frauen. kein Verstoß gegen allgemeine Gleichbehandlungsgrundsätze oder EU-Recht. keine Klageänderung beim Wandel von Kostenübernahmeanspruch zum Kostenerstattungsanspruch. Künstliche Befruchtung. Altersgrenze. Gleichbehandlung. Klageänderung. Kostenübernahme. Kostenerstattung

 

Orientierungssatz

1. Die in § 27a Abs 3 S 1 SGB 5 für Frauen festgesetzte Altersgrenze von 40 Jahren für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung ist verfassungsgemäß und verstößt nicht gegen das AGG.

2. Es existiert keine Verpflichtung des bundesdeutschen Gesetzgebers, das Verbot der Altersdiskriminierung für die einzelnen Teile des Sozialgesetzbuches zu regeln.

3. Begehrt der Kläger statt der ursprünglich geforderten Leistung einer Kostenübernahme für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung wegen einer später eingetretenen Veränderung eine Kostenerstattung wegen der Beschaffung der begehrten Leistung auf eigene Kosten, so handelt es sich hierbei nicht um eine Klageänderung gem § 99 Abs 3 Nr 3 SGG.

 

Normenkette

SGB V § 13 Abs. 3 S. 1, § 27a Abs. 3 S. 1; AGG § 2 Abs. 2 S. 1; SGB I § 33c; SGB IV § 19a; GG Art. 6 Abs. 1; SGG § 99 Abs. 3 Nr. 3

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 25.06.2009; Aktenzeichen B 3 KR 7/08 R)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 18.07.2007 wird zurückgewiesen.

Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Kostenerstattung für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung mittels intrazytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI) in Anspruch.

Der am 00.00.1967 geborene Kläger ist bei der Beklagten versichert und mit seiner am 00.00.1966 geborenen Ehefrau seit dem 22.09.2006 verheiratet. Die Ehefrau ist als Beamtin im Schuldienst versicherungsfrei in der gesetzlichen Krankenversicherung und privat gegen das Risiko Krankheit versichert. Bei dem Kläger liegt eine Asthenozoospermie, bei seiner Ehefrau eine Folikelreifestörung vor.

Am 03.08.2006 wandte sich der Kläger an die Beklagte und fragte an, ob und inwieweit Kosten für eine künstliche Befruchtung von dort aus übernommen würden. Gleichzeitig bat er die Beklagte unter Hinweis auf die bevorstehende Eheschließung, "im Wege des Vorabbescheids zu entscheiden". Beigefügt war ein Spermiogramm vom 26.01.2006, das bei dem Kläger einen grenzwertigen Befund dokumentierte.

Die Beklagte teilte dem Kläger daraufhin mit, dass sie Maßnahmen der künstlichen Befruchtung nicht übernehmen werde, weil seine zukünftige Ehefrau bereits das 40. Lebensjahr vollendet habe (Schreiben vom 07.08.2006). Das Schreiben war mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen.

Mit dem Widerspruch machte der Kläger im Wesentlichen geltend, dass die Altersgrenze des § 27a Abs. 3 Satz 1 des Fünften Buchs des Sozialgesetzbuches (SGB V) gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verstoße und somit verfassungswidrig sei. Darüber hinaus handele es sich um eine Altersdiskriminierung i.S.d. Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG). Da die im AGG zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Wertungen auf höherrangigem EU-Recht beruhten, sei auch vor diesem Hintergrund von einem Anwendungsverbot des § 27 Abs. 3 Satz 1 SGB V auszugehen.

Den Widerspruch verwarf die Beklagte als unzulässig. Sie führte aus, dass das Schreiben vom 07.08.2006 nicht als Verwaltungsakt i.S.d. § 31 Satz 1 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuches (SGB X) zu qualifizieren sei. Denn sie habe mit dem Schreiben lediglich eine hypothetisch gehaltene Anfrage beantwortet, jedoch keine Regelung mit Rechtswirkung nach außen getroffen (Widerspruchsbescheid vom 15.08.2006).

Mit der am 18.08.2006 vor dem Sozialgericht Köln erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, dass die Beklagte mit dem Schreiben vom 07.08.2006 eine ablehnende Entscheidung getroffen und folglich durch Verwaltungsakt gehandelt habe. In der Sache hat er an seiner bereits im Widerspruchsverfahren vertretenen Auffassung festgehalten und ferner die Ansicht vertreten, dass § 27a Abs. 3 Satz 1 SGB V schon dem ausdrücklichen Wortlaut nach nicht zu einem Anspruchsausschluss führen könne, da seine Ehefrau versicherungsfrei in der gesetzlichen Krankenversicherung sei und mithin nicht als "Versicherte" im Sinne des Abs. 3 Satz 1 qualifiziert werden könne. Außerdem habe die Beklagte mit ihrer Ablehnung sowohl gegen Art. 3 Abs. 1 GG als auch gegen §§ 1 und 10 AGG verstoßen. Die Einführung der Altersgrenze für Frauen sei darüber hinaus nicht erforderlich, da bereits gemäß § 27 Abs. 1 Nr. 2 SGB V Voraussetzung für die Bewilligung von Maßnahmen der künstlichen Befruchtung sei, dass nach ärztlicher Feststellung hinreichende Aussicht bestehe, dass hierdurch eine Schwangerschaft herbeigeführt werde. Dass vor Behandlungsbeginn kein Behandlungsplan vorgelegen habe, könne ihm nicht angelastet werden. Er sei davon ausgegangen, dass sich die Beklagte den Behandlungs...

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