Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufrechnung durch Verwaltungsakt. Verfassungsmäßigkeit der Aufrechnung mit 30 % des gegnerischen Sozialleistungsanspruch

 

Orientierungssatz

1. Die Befugnis des Beklagten, die Aufrechnung durch Verwaltungsakt unabhängig von der Bewilligung von Leistungen für einen bestimmten Bewilligungszeitraum zu erklären, folgt unmittelbar aus § 43 Abs. 4 Satz 1 SGB II (juris: SGB 2), wonach die Aufrechnung gegenüber der leistungsberechtigten Person schriftlich durch Verwaltungsakt zu erklären ist und spätestens drei Jahre nach dem Monat, der auf die Bestandskraft der in Abs. 1 genannten Entscheidung folgt, endet.

2. Angesichts des Umstands, dass Leistungen nach dem SGB II  (juris: SGB 2) ohnehin durch Verwaltungsakt bewilligt werden, erhält diese Bestimmung ihre eigentliche Bedeutung dadurch, dass die Vorschriften über die Bescheiderteilung - insbesondere die Verpflichtung zur Anhörung nach § 24 SGB X  (juris: SGB 10) - und der Rechtsschutz gegen Verwaltungsakte anzuwenden sind.

3. Die gesetzlich angeordnete Höhe der Aufrechnung mit 30% des maßgeblichen Regelbedarfs  ist nicht verfassungswidrig.

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 28.02.2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Aufrechnung mit einer gegen sie bestehenden Forderung auf Rückzahlung von Leistungen nach dem SGB II i.H.v. 30.445,62 EUR gegen Ansprüche zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II i.H.v. 30% des Regelbedarfs.

Die Klägerin bezog ab 2003 Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung. In dem Erstantrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im Jahre 2004 gab sie u.a. an, sie stehe nicht in einer Ausbildung, sondern sei lediglich als Gasthörerin an der Universität zu L im Fach Wirtschafts-, Sozial- und Rechtswissenschaften eingeschrieben. Die Rechtsvorgängerin des Beklagten (im Folgenden: Beklagter) bewilligte der Klägerin daraufhin Arbeitslosengeld II (Alg II). Im September 2005 nahm die Klägerin ein Studium der Medizin an der Universität E auf. Ihr BAföG-Antrag wurde abgelehnt. In dem Fortzahlungsantrag auf Alg II teilte sie mit, eine wesentliche Änderung der Verhältnisse sei gegenüber den Angaben im Erstantrag nicht eingetreten. Dies wiederholte sie in den Folgeanträgen.

Nachdem der Rechtsvorgängerin des Beklagten (nachfolgend einheitlich: Beklagter) Mitte 2008 bekannt geworden war, dass die Klägerin ein nach dem BAföG dem Grunde nach förderfähiges Studium absolviert hatte, stellte er die Leistungsgewährung ein und nahm mit Bescheid vom 27.10.2008 sämtliche Bewilligungsbescheide auf der Grundlage von §§ 40 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 SGB II, 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 SGB X, 330 Abs. 2 SGB II zurück und forderte gemäß §§ 50 SGB X, 40 Abs. 2 Nr. 5 SGB II, 335 Abs. 1 SGB III die zu Unrecht gewährten Leistungen einschließlich der Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 30.445,62 EUR zurück.

Nach Aufgabe des Studiums im März 2010 beantragte die Klägerin erneut Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, die der Beklagte bewilligte (Erstbescheid vom 09.04.2010). Mit Bescheid vom 07.07.2012 bewilligte der Beklagte für die Zeit ab 01.09.2012 Regelleistungen i.H.v. 374 EUR monatlich sowie Kosten der Unterkunft.

In der Zeit vom 01.12.2010 bis 31.02.2011 stand die Klägerin in einem Beschäftigungsverhältnis, das hieraus erzielte Einkommen wurde auf den Leistungsanspruch angerechnet. Ab 01.03.2012 nahm die Klägerin für vier Monate eine geringfügige Beschäftigung auf, das hieraus erzielte Einkommen i.H.v. 80 EUR rechnete der Beklagte nicht auf den Leistungsanspruch an.

Die gegen den Bescheid vom 27.10.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.02.2008 erhobene Klage wies das SG Düsseldorf ab (Gerichtsbescheid vom 13.12.2010 - S 24 AS 56/09). Die hiergegen eingelegte Berufung wies das LSG Nordrhein-Westfalen zurück (Urteil vom 28.02.2012 - L 2 AS 157/11). Mit Beschluss vom 27.06.2012 - B 4 AS 99/12 B verwarf das BSG die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision als unzulässig.

Mit Schreiben vom 25.07.2012 hörte der Beklagte die Klägerin zur beabsichtigten Aufrechnung der Forderung aus dem Bescheid vom 27.10.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.02.2008 gegen den Anspruch der Klägerin auf Alg II i.H.v. 112, 20 EUR monatlich (30% der Regelleistung i.H.v. 374 EUR) an. Die Klägerin legte gegen das Anhörungsschreiben Widerspruch ein. Sie sei nicht informiert gewesen, dass Forderungen der Arbeitsgemeinschaft auf den Beklagten übergegangen seien. Mit Bescheid vom 02.08.2012 verwarf der Beklagte den Widerspruch als unzulässig.

Mit Bescheid vom 14.08.2012 erklärte der Beklagte gem. § 43 SGB II ab 01.09.2012 die Aufrechnung i.H.v. 112,20 EUR monatlich gegen laufende Leistungen mit der Forderung aus dem Erstattungsbescheid vom 27.10.2008. Nach Abwägung der Interessen der Klägerin mit den Interessen der Allgemeinhei...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge