Entscheidungsstichwort (Thema)

Unzulässigkeit einer Untätigkeitsklage bei lediglich offensichtlichem Ausnutzen einer formalen Rechtsposition

 

Orientierungssatz

1. Hat die Behörde über den Widerspruch gegen einen von ihr erteilten Bescheid innerhalb einer Frist von drei Monaten ohne zureichenden Grund nicht entschieden, so ist sie nach erhobener Untätigkeitsklage zu verurteilen, den erhobenen Widerspruch zu bescheiden.

2. Für die Zulässigkeit der Untätigkeitsklage kommt es nicht darauf an, ob der Kläger einen Anspruch in der Sache selbst hat oder ob der beantragte Bescheid materiell-rechtliche Auswirkungen für ihn hat. Etwas Anderes gilt nur im Fall rechtsmissbräuchlicher Rechtsverfolgung. Dies setzt voraus, dass ein materiell-rechtlicher Anspruch ausgeschlossen ist und sich die Erhebung der Untätigkeitsklage lediglich als Ausnutzung einer formalen Rechtsposition ohne eigenen Nutzen und zum Schaden für den anderen Beteiligten darstellt.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 28.10.2015; Aktenzeichen B 6 KA 20/15 B)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14.12.2012 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger, der Insolvenzverwalter über das Vermögen des Dr. B C ist, begehrt die Bescheidung eines von ihm eingelegten Widerspruchs.

Dr. C ist Facharzt für Neurologie und war zumindest im vorliegend relevanten Zeitpunkt zur vertragsärztlichen Versorgung in H zugelassen. Am 16.11.2010 beantragte er die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen. Mit Beschluss des Amtsgerichts N vom 01.03.2011 - 20 IN 128/10 - wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.

Mit Bescheid vom 26.04.2011 rechnete die Beklagte das Honorar des Dr. C für seine vertragsärztliche Tätigkeit im Quartal IV/2010 ab. In dem Abrechnungsbescheid wird ein Saldovortrag i.H.v. 113.149,56 EUR aufgeführt, der faktisch mit den Honoraransprüchen des Dr. C i.H.v. 28.673,68 EUR verrechnet wurde.

Mit Schreiben vom 09.05.2011 gab die Beklagte den nach ihren Angaben bereits zuvor Dr. C zugesandten Abrechnungsbescheid vom 26.04.2011 dem Kläger bekannt. Dabei führte sie aus, der Honoraranspruch sei als vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet anzusehen; deshalb sei auch die sich aus dem Bescheid ergebende Verrechnung erfolgt. Da es sich bei dem Abrechnungsbescheid um einen rechtsbehelfsfähigen Bescheid handele, sei der Erlass eines gesonderten Aufrechnungsbescheids entbehrlich.

Der Kläger legte mit Schreiben vom 18.05.2011 gegen den Abrechnungsbescheid vom 26.04.2011 "vollumfänglich Widerspruch" ein. Zur Begründung führte er mit Schreiben vom 03.08.2011 u.a. aus, die in dem Abrechnungsbescheid vorgenommene Aufrechnung werde dem Grunde und der Höhe nach bestritten, im Übrigen sei die Aufrechnung unwirksam (wird weiter ausgeführt).

Die Beklagte teilte dem Kläger daraufhin mit, dass sie ihm und Dr. C mit Schreiben vom 26.07.2011 den Abrechnungsbescheid über das für das Folgequartal I/2011 abgerechnete Honorar des Dr. C bekannt gegeben habe. Dieser Bescheid sei bestandskräftig geworden, da keiner der Beteiligten Widerspruch eingelegt habe. Die Entscheidung über den Widerspruch gegen den Abrechnungsbescheid für das Quartal IV/2010 werde zu gegebener Zeit erfolgen (Schreiben vom 15.11.2011).

In der Folgezeit, letztmalig mit Schreiben vom 10.02.2012 mahnte der Kläger bei der Beklagten den Erlass des Widerspruchsbescheids hinsichtlich des Quartals IV/2010 an.

Am 29.03.2012 hat der Kläger Untätigkeitsklage erhoben und vorgetragen, die Beklagte habe auf Nachfragen und Fristsetzung nicht reagiert. Der Abrechnungsbescheid für das Quartal IV/2010 sei rechtswidrig. Insbesondere bestreite er die Gegenforderung in Höhe von 113.149,56 EUR; im Übrigen sei die Aufrechnung nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 Insolvenzordnung (InsO) i.V.m. § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO unwirksam. Die Aufrechnungslage sei erst mit Einreichung der Abrechnungsunterlagen für das Quartal IV/2010 im Monat Januar 2011 und damit nach dem Antrag des Schuldners auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom 16.11.2010 entstanden.

Der Kläger hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,

die Beklagte zu verpflichten, seinen Widerspruch gegen den Bescheid vom 26.04.2011 zu bescheiden.

Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat geltend gemacht, das Verfahren sei auszusetzen, weil zureichende Gründe bestünden, über den Widerspruch des Klägers gegen den Abrechnungsbescheid für das Quartal IV/2010 nicht zu entscheiden. Der Kläger könne nämlich kein Bescheidungsinteresse mehr geltend machen. Der begehrten Widerspruchsentscheidung stehe entgegen, dass der Abrechnungsbescheid für das Quartal I/2011 bestandskräftig geworden sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 10.10.2012 habe sie den Wiedereinsetzungsantrag des Klägers abgelehnt und dessen Widerspruch gegen den Abrechnungsbescheid für das Quartal I/2011 zurückgewiesen. Aus dem Abrechnungsbescheid...

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