Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausschluss der Anerkennung einer Multiplen Sklerose als Folge einer berufsbedingten Hepatitis B-Impfung

 

Orientierungssatz

1. Zur Feststellung einer gesundheitlichen Beeinträchtigung infolge eines Versicherungsfalls muss zwischen dem Unfallereignis und den geltend gemachten Unfallfolgen ein Ursachenzusammenhang i. S. der maßgeblichen Theorie der wesentlichen Bedingung bestehen. Dafür genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit.

2. Über die Entstehungsursachen der Multiplen Sklerose (MS) liegen keine hinreichend gesicherten medizinischen wissenschaftlichen Erkenntnisse vor. U. a. gibt es keine Evidenz für einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Hepatitis B-Impfungen und MS. Die bisherigen Studien machen einen Zusammenhang zwischen einer Hepatitis B-Impfung und der Auslösung einer MS bzw. einer Konversion einer Myelitis in eine MS überwiegend für unwahrscheinlich.

 

Nachgehend

BVerfG (Nichtannahmebeschluss vom 12.09.2016; Aktenzeichen 1 BvR 1311/16)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 27.07.2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Anerkennung ihrer Multiple Sklerose (MS)-Erkrankung als Folge eines Versicherungsfalls.

Die Klägerin wurde zu Beginn ihres Medizinstudiums an der P-von-H-Universität N gemäß den Impfempfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) am 25.11.1997, 01.12.1997 und letztmalig am 14.05.1998 gegen Hepatitis B geimpft. Für alle drei Impfungen wurde eine aktive Immunisierung mit Gen HB-VAX durchgeführt. Im Anschluss an die letzte Impfung traten nach Angabe der Klägerin am 16.05.1998 erstmals Dysästhesien, am 18.05.1998 eine Kraftminderung des rechten Beins und am 20.05.1998 eine solche der rechten Hand auf. Im Universitätsklinikum N wurde die Klägerin vom 20. bis 26.05.1998 unter der Verdachtsdiagnose einer Myelitis stationär behandelt. Im April 2000 wurde im Universitätsklinikum N erstmals die Diagnose MS gestellt.

Im Juni 2006 wandte die Klägerin sich an die Beklagte und machte ihre MS-Erkrankung als Folge der Hepatitis B-Impfungen geltend. Die Beklagte leitete daraufhin ein Feststellungsverfahren ein. Sie zog medizinische Unterlagen bei und beauftragte anschließend Prof. Dr. I, Klinik und Poliklinik für Neurologie am Universitätsklinikum N, mit der Erstattung eines Gutachtens. Dieser kam zu folgendem Ergebnis: Bei der Klägerin sei erstmals am 16.05.1998 ein erster Krankheitsschub einer MS mit sensiblem Querschnitt und einer Hemiparese der rechten Körperseite aufgetreten. Bei einer MS handele es sich um eine autoimmunentzündliche und degenerative Erkrankung des zentralen Nervensystems, die typischerweise mit Sehstörungen, Sensibilitätsstörungen und Lähmungen einhergehe. Von immunpathologischer Seite sei der erste Krankheitsschub nicht mit dem Krankheitsbeginn gleichzusetzen. Man gehe davon aus, dass bereits Monate bis Jahre vor dem ersten klinischen Ereignis pathologische Veränderungen im zentralen Nervensystem bestünden. Berücksichtige man diese Erkenntnis, erscheine es unwahrscheinlich, dass durch die Hepatitis B-Impfung die Erkrankung einer MS ausgelöst worden sei. Es sei aber davon auszugehen, dass durch die Impfung das klinische Ereignis ausgelöst worden sei. Die Hepatitis B-Impfung komme als Träger für den Krankheitsschub in Frage, nicht aber als Auslöser für die Erkrankung. Ob durch eine Hepatitis B-Impfung ein Schub einer MS ausgelöst werden könne, könne zurzeit anhand der zur Verfügung stehenden Literatur nicht abschließend beantwortet werden (Gutachten vom 09.07.2007).

Mit Bescheid vom 10.10.2007, auf dessen Begründung Bezug genommen wird, lehnte die Beklagte es ab, das Ereignis vom 14.05.1998 als Arbeitsunfall anzuerkennen und Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren. Die Klägerin erhob Widerspruch und machte geltend: Die Behauptung des Gutachters, dass der erste Krankheitsschub nicht mit dem Beginn der MS gleichzusetzen sei, stütze sich nicht auf die geltenden medizinischen Erkenntnisse, auch wenn man im klinischen Alltag häufig auf Patienten treffe, bei denen es beim ersten Schub schon Hinweise auf eine vorab existente MS gebe. Wegen fehlender früherer Symptome, fehlenden zusätzlichen Herden im MRT, unauffälligem Nervenwasser und normaler elektrophysiologischer Befunde der Sehnerven sei der erste Krankheitsschub in ihrem Fall mit dem Krankheitsbeginn der MS gleich zu setzen. Der ursächliche Zusammenhang zwischen der Hepatitis B-Schutzimpfung und der Erkrankung sei gegeben. Dafür sprächen der enge zeitliche Zusammenhang, der sehr hohe Impftiter, der Ausschluss anderer Ursachen der Erkrankung und das Fehlen sämtlicher Hinweise für eine bereits bestehende MS vor der Impfung so wie die negative Familienanamnese als fehlender Hinweis für eine erhöhte genetische Disposition. Gegen den ursächlichen Zusammenhang spreche lediglich, dass die unterschiedlichen Auffassung...

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