Entscheidungsstichwort (Thema)

Überlanges Gerichtsverfahren. Verfristung der Verzögerungsrüge in Übergangsfällen. Erhebung der Rüge zur Unzeit. sozialgerichtliches Verfahren

 

Orientierungssatz

1. Anspruchsgrundlage für einen Entschädigungsanspruch wegen einer unangemessenen Dauer eines sozialgerichtlichen Verfahrens ist § 198 Abs. 1 GVG in Verbindung mit § 202 SGG.

2. Die Frist des Art. 23 ÜGG ist eine materiell-rechtlich wirkende Ausschlussfrist, die unabhängig von der Kenntnis des Anspruchsinhabers beginnt.

3. § 198 Abs. 3 Sätze 1 und 3 GVG regeln die gesetzlichen Anforderungen an den Inhalt der Verzögerungsrüge. Es ist keine ausdrücklich als "Verzögerungsrüge" bezeichnete Äußerung erforderlich; die Verzögerungsrüge muss mit ihrem Inhalt grundsätzlich lediglich zum Ausdruck bringen, dass der Betroffene mit der Verfahrensdauer nicht einverstanden ist.

4. Nach § 198 Abs. 3 Satz 2 GVG kann die Verzögerungsrüge erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in angemessener Zeit abgeschlossen wird. Die Verzögerungsrüge ist u.a. materielle Anspruchsvoraussetzung für den Entschädigungsanspruch. Wird die Rüge zur Unzeit erhoben, ist der Anspruch nicht begründet und die Klage abzuweisen. Die Gesetzesbegründung formuliert, dass die Rüge "ins Leere" gehe (BT-Drs. 17/3802 S. 20). Sie ist damit endgültig unwirksam und wird auch dann nicht wirksam, wenn später tatsächlich eine unangemessene Verfahrensdauer eintritt.

 

Normenkette

GVG § 198 Abs. 1 Sätze 1-2, Abs. 2, 3 Sätze 1-3, § 200 S. 1, § 201 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1; ÜGG Art. 23 S. 1; SGG § 202 Sätze 1-2, § 67 Abs. 1

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtstreits.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt Entschädigung nach §§ 198 ff. Gerichtsverfassungsgesetz (GVG). Er macht eine unangemessene Dauer des Gerichtsverfahrens S 5 P 144/10 Sozialgericht (SG) Düsseldorf und nachfolgend L 10 P 41/13 Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen geltend.

In dem Rechtsstreit S 5 P 144/10 SG Düsseldorf hat der Kläger am 29.07.2010 auf Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung nach Stufe I gerichtete Klage erhoben. Die Klage hat er im Januar 2011 begründet; gleichzeitig hat er zu diesem Zeitpunkt die ihn behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbunden. Das SG hat einen Befundbericht angefordert (03.02.2011) und den am 21.02.2011 eingegangen Bericht der Beklagten zur Stellungnahme zugeleitet. Nachdem diese am 02.03.2011 (Schriftsatz vom 28.02.2011) keinen Anlass zur Änderung ihrer Beurteilung gesehen und der Kläger umfangreich weiter vorgetragen hatte (Schriftsatz vom 22.03.2011), hat das SG einen weiteren Befundbericht angefordert (28.03.2011), der am 06.04.2011 bei Gericht eingegangen ist und zu dem die Beteiligten mit Schriftsätzen vom 13.04.2011 und 17.04.2011 Stellung genommen haben. Unter dem 08.06.2011 hat das SG Beweiserhebung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens angeordnet. Zu dem am 05.08.2011 beim SG eingegangenen Gutachten haben die Beklagte im August 2011 und der Kläger mit am 08.09.2011 eingegangenem, umfangreichen Schriftsatz vom 30.08.2011 Stellung genommen. Nach am 29.09.2011 erfolgter Erwiderung der Beklagten hat das SG den Rechtsstreit am gleichen Tag zur Sitzung geschrieben. Am 30.10.2012 hat das SG die Ladung zum Termin zur mündlichen Verhandlung verfügt. In diesem Termin vom 21.11.2012 hat das SG die Beklagte verurteilt, dem Kläger Leistungen nach Pflegestufe I aus der sozialen Pflegeversicherung ab 01.06.2011 zu gewähren; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Gegen das ihm am 01.03.2013 zugestellte Urteil hat der Kläger am gleichen Tag beim LSG Nordrhein-Westfalen Berufung eingelegt (L 10 P 41/13), mit der er sinngemäß auch für die Zeit ab Antragstellung im August bzw. September 2009 Leistungen begehrt (Schriftsatz vom 12.05.2013). Das LSG hat am 31.05.2013 Termin zur Beweisaufnahme mittels Vernehmung von Zeugen über den dem Kläger geleisteten Pflegeaufwand anberaumt. In diesem Termin vom 17.07.2013 wurde eine Zeugin vernommen, während eine Zeugin sich wegen Erkrankung entschuldigt hat. Unter dem 19.08.2013 hat das LSG eine schriftliche Anfrage an diese Zeugin gesandt.

Der Kläger hat am 29.08.2013 "Entschädigungsklage" "wegen unangemessener Verfahrensdauer des SG Düsseldorf" und "wegen der mir im jetzigen prozessualen Verfahren zugestoßenen Schadenszufügungen des 10. LSG-Senats" erhoben.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

den Beklagten zu verurteilen, ihm eine angemessene Entschädigung wegen unangemessener Dauer der Gerichtsverfahren S 5 P 144/10 Sozialgericht Düsseldorf und L 10 P 41/13 Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte erachtet die Klage für unzulässig bzw. zumindest für unbegründet. Der Kläger habe mit Schriftsatz vom 24.02.2013 am 01.03.2013 eine konkludente Verzögerungsrüge erhoben. Bis zur Klageerhebung seien keine sechs Monate vergangen. Im Übrigen sei das sozialgeri...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge