Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Medizinischer Dienst der Krankenversicherung (MDK). Aufwandspauschale. Auffälligkeitsprüfung. sachlich-rechnerische Richtigkeitsprüfung. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

1. Der Anfall einer Aufwandspauschale zugunsten des Krankenhauses nach § 275 Abs 1c S 3 SGB 5 zu Lasten der Krankenkasse setzt ua eine Auffälligkeitsprüfung durch den MDK voraus.

2. Die Auffälligkeitsprüfung betrifft regelmäßig Fälle, in denen die Krankenkasse Zweifel daran haben kann, dass das Krankenhaus seine Leistung unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots erbracht hat. Sie begründet in den Fällen, in denen es zu keiner Anspruchsminderung kommt, einen Anspruch des Krankenhauses auf Zahlung einer Aufwandspauschale.

3. War zu keinem Zeitpunkt die Wirtschaftlichkeit der Krankenhausbehandlung Gegenstand der Prüfung durch den MDK, sondern hat die Krankenkasse allein die sachlich-rechnerische Richtigkeit prüfen lassen, so ist die Aufwandspauschale nicht angefallen.

4. § 275 Abs 1 Nr 1 SGB 5 enthält keine Ermächtigungsgrundlage zur Durchführung einer Auffälligkeitsprüfung, sondern setzt eine entsprechende Prüfungsbefugnis der Krankenkasse voraus.

5. Maßgeblich dafür, ob eine Prüfung nach § 275 Abs 1c SGB 5 stattfindet, ist allein die objektive Rechtslage und nicht die Auffassung des MDK.

6. Die vom 1. Senat des BSG und vom erkennenden 1. Senat des LSG Essen vertretene Auffassung, dass § 275 Abs 1 Nr 1, Abs 1c SGB 5 in der bis zum 31.12.2015 geltenden Fassung auf die Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit einer Krankenhausabrechnung keine Anwendung findet, gründet sich auf systematische Erwägungen und wendet damit anerkannte Methoden der Gesetzesauslegung an. Sie verstößt nicht gegen Verfassungsrecht.

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 20.05.2016 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf 300,00 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung einer Aufwandspauschale in Anspruch.

In dem nach § 108 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zugelassenen Krankenhaus der Klägerin, einer Anstalt öffentlichen Rechts, wurde in der Zeit vom 23.10.2012 bis zu ihrem Ableben am 09.11.2012 die bei der Beklagten versicherte P. stationär behandelt. Die Klägerin berechnete für den stationären Aufenthalt einen Betrag von 4.881,40 EUR und brachte hierbei u.a. den OPS 8-98e.1 (Spezialisierte stationäre palliativmedizinische Komplexbehandlung: Mindestens 7 höchstens 13 Behandlungstage) sowie das Zusatzentgelt (ZE) 60.01 in Ansatz.

Der von der Beklagten eingeschaltete Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) vertrat in einer Stellungnahme vom 13.02.2013 die Auffassung, dass die Kodierung des OPS 8-98e.1 sowie die Berechnung des ZE60.01 zu Recht erfolgt seien und führte hierzu aus: Die Übernahme auf die Palliativstation bei Dyspnoe und Schmerzen sei am 30.11.2012 (richtig: 30.10.2012) erfolgt. Es sei eine palliative Schmerztherapie begonnen worden. Dabei sei es zu einer kurzfristigen Erleichterung gekommen. Ein palliativmedizinisches Basisassessment liege vor. Folgende Therapiebereiche seien abgedeckt worden: Physiotherapie, physikalische Therapie, Sozialdienst, Seelsorge und Psychotherapie. Eine multidisziplinäre Teambesprechung habe am 30.10. und 06.11. stattgefunden.

Mit Schreiben vom 18.11.2015 forderte die Klägerin die Beklagte zur Zahlung einer Aufwandspauschale in Höhe von 300,00 EUR auf. Dies lehnte die Beklagte unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ab. Es habe sich nicht um eine Auffälligkeitsprüfung im Sinne des § 275 Abs. 1c SGB V gehandelt, sondern um eine Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit der Abrechnung, für die keine Aufwandspauschale entstehe (Schreiben vom 27.11.2015).

Am 30.12.2015 hat die Klägerin bei dem Sozialgericht (SG) Detmold Klage erhoben.

Sie hat im Wesentlichen vorgetragen: Das Gesetz sehe eine Unterscheidung zwischen einer Auffälligkeitsprüfung und einer Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit nicht vor. Entgegen dem klaren Wortlaut des § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V und des § 275 Abs. 1c Satz 1 SGB V gehe das BSG davon aus, dass eine Prüfung nach § 275 Abs. 1c SGB V stets eine Auffälligkeit voraussetze und damit als Auffälligkeitsprüfung bezeichnet werden könne. § 275 Abs. 1c Satz 1 SGB V nehme ohne jegliche Einschränkung auf Krankenhausbehandlungen nach § 39 SGB V und auf Prüfungen nach § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V Bezug. Dies habe zur Folge, dass sämtliche in § 39 SGB V geregelten Behandlungsformen dem Prüfregime des § 275 Abs. 1c SGB V unterlägen. Denn der Verweis auf § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V erfasse wiederum alle dort genannten Überprüfungsvorgänge, d.h. wörtlich "insbesondere" die Prüfung von Voraussetzungen, Art und Umfang der Leistung sowie bei Auffälligkeiten die Prüfung der ordnungsgemäßen Abrechnung....

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