Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Vermögenseinsatz. selbst bewohntes Hausgrundstück. Angemessenheit. Berücksichtigung der Gesamtfläche trotz Teilvermietung. kein Vermögenseinsatz trotz Überschreitens der angemessenen Wohnfläche. Gesamtbetrachtung. Verwertung eines separaten Garagengrundstücks

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei einem selbst genutzten Einfamilienhaus kann die sozialhilferechtlich angemessene Wohnfläche von 90 m² (für ein bis zwei Personen) um bis zu einem Drittel überschritten werden, wenn das Haus nach sonstigen Kriterien angemessen ist und keine besondere Wertsteigerung erfährt. Der Schutz des § 90 Abs 2 Nr 8 SGB 12 liefe faktisch leer, wenn ein Einfamilienhaus - wie in typischen Alterslebenslagen, die vom Vierten Kapitel des SGB 12 berücksichtigt werden - nur von einer oder zwei Personen bewohnt wird; denn Häuser mit einer Wohnfläche lediglich bis 90 m² gibt es so gut wie nicht. Die Interessen der Allgemeinheit werden in einem solchen Fall durch § 102 SGB 12 hinreichend gewahrt.

2. Eine Verwertung eines zum Haus gehörenden, aber separaten Grundstücks mit nur einer Garage kann bei prognostisch längerdauerndem Bezug von Grundsicherungsleistungen im Alter auch durch Vermietung erfolgen, wenn die Mieteinnahmen den mutmaßlichen Wert dieses Garagengrundstücks schon in etwa acht Jahren überschreiten.

 

Orientierungssatz

1. Die Angemessenheit eines Hausgrundstücks ist nach Maßgabe und Würdigung aller in § 90 Abs 2 Nr 8 SGB 12 bezeichneten personen-, sach- und wertbezogenen Kriterien zu beurteilen; soweit ein einzelnes Kriterium unangemessen ist, führt dies also nicht automatisch zur Unangemessenheit des Hausgrundstücks (vgl BSG vom 19.5.2009 - B 8 SO 7/08 R = SozR 4-5910 § 88 Nr 3).

2. Zur Beurteilung der Angemessenheit ist grundsätzlich von der Gesamtfläche des Hauses auszugehen; maßgebend ist nicht etwa nur die selbst bewohnte Fläche. Insoweit genügt, dass der Vermögensinhaber das Hausgrundstück selbst nutzt und keinen rechtlichen Grenzen einer uneingeschränkten tatsächlichen Nutzung der gesamten Wohnfläche des Hauses unterliegt (vgl BSG vom 12.12.2013 - B 14 AS 90/12 R = SozR 4-4200 § 12 Nr 22).

 

Normenkette

SGB XII § 90 Abs. 2 Nr. 8, § 41 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, §§ 102, 2 Abs. 1; SGB X § 16 Abs. 5 Nr. 3; WobauG a.F. § 82 Abs. 3 S. 2; GBO § 7 Abs. 1; ErbbauRG § 26

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 24.03.2015; Aktenzeichen B 8 SO 12/14 R)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 07.11.2012 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten im Wesentlichen, ob das selbstgenutzte Einfamilienhaus der Klägerin (Erbbaurecht) im Rahmen der von ihr bezogenen Sozialhilfe nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) einsatzpflichtiges oder geschütztes Vermögen ist.

Die am 00.00.1943 geborene Klägerin war in erster Ehe mit dem Architekten S verheiratet. Aus der Ehe gingen eine Tochter (geb. 1967) und ein Sohn (geb. 1971) hervor. Nach der Trennung der Eheleute errichtete der Ehemann im Jahre 1975 ein Einfamilienhaus auf einem Erbbaugrundstück in N, in das die Klägerin noch im gleichen Jahr mit den Kindern einzog. Erbbauberechtigter war zunächst der Ehemann; im Rahmen der Scheidungsfolgenregelung wurde dann am 18.01.1977 die Klägerin als Erbbauberechtigte ins Grundbuch eingetragen. Die zweite Ehe der Klägerin dauerte nur etwa zwei Jahre und wurde 1986 geschieden. Anlässlich dieser weiteren Ehe wohnte die Klägerin für etwa fünf Jahre in M (D); während diese Zeit war das Einfamilienhaus in N vermietet. Die Klägerin und ihr Sohn wohnen - mit Unterbrechungen durch die zweite Ehe der Klägerin, beim Sohn auch durch dessen Studium in B - bis heute in dem Haus; die Tochter ist im Alter von etwa 16 Jahren zu ihrem erneut verheirateten Vater gezogen.

Das (einheitliche) Erbbaurecht besteht aus zwei Grundstücken. Auf dem einen Grundstück (G 00) mit einer Fläche von 485 m² wurde 1975 das Einfamilienhaus errichtet. Das Haus ist ein Flachdach-Bungalow mit sämtlich ebenerdigen Räumen. Es hat drei Schlafzimmer, ein Wohn- und Esszimmer, eine Küche, zwei Bäder und ein Gäste-WC; die Wohnfläche beträgt 119 m². Es gehört zu einer zusammenhängenden, L-förmigen Siedlung von 14 gleichartigen Häusern, die zum gleichen Zeitpunkt auf vergleichbar großen Grundstücken errichtet worden sind. Die Häuser weisen eine einfache bis mittlere Standardausstattung auf. N ist ein Außenbezirk von N; die Lage der Grundstücke ist ohne besondere Vorzüge und Nachteile. Mittlerweile befinden sich in diesem Ortsteil auch zahlreiche Mehrfamilienhäuser; in unmittelbarer Nähe des Hauses der Klägerin befindet sich so ein sechsstöckiges Haus. Das (in das Erbbaurecht einbezogene) weitere Grundstück mit einer Fläche von 21 m² gehört zu einem zu den 14 Häusern geschaffenen Garagenhof (S) und ist mit einer Flachdach-Garage bebau...

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