Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen bei vorsätzlicher Vorenthaltung der Beitragszahlung

 

Orientierungssatz

1. Nach § 25 Abs. 1 S. 2 SGB 4 verjähren vorsätzlich vorenthaltene Beiträge erst in 30 Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind.

2. Hierzu reicht es aus, dass der Vorsatz zur Vorenthaltung der Beiträge bis zum Ablauf der regelmäßigen Verjährungsfrist eingetreten ist. Der Beitragsschuldner handelt bedingt vorsätzlich, wenn er seine Beitragspflicht lediglich für möglich hält und die Nichtabführung der Beiträge billigend in Kauf nimmt.

3. Ausreichend für den Vorwurf der vorsätzlichen Vorenthaltung ist es, wenn der Versicherungsträger den Beitragsschuldner von der Rechtsprechung eines obersten Gerichts zur Beitragspflicht in Kenntnis gesetzt hat. Wer im Bewusstsein der dahin gehenden Rechtsauffassung keine Beiträge zahlt, handelt zumindest bedingt vorsätzlich, mit der Folge, dass die 30-jährige Verjährungsfrist greift.

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 3.8.2012 geändert. Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 1.6.2012 anzuordnen, soweit Nachforderungen für die Zeit vor dem 1.1.2007 geltend gemacht werden, wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des gesamten Verfahrens.

Der Streitwert wird sowohl für das Antragsverfahren als auch das Beschwerdeverfahren auf 2.329,46 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.

Die Antragstellerin, ein in der Rechtsform der GmbH betriebenes Personal- und Dienstleistungsunternehmen, begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 1.6.2012, mit dem diese Sozialversicherungsbeiträge für von der Antragstellerin an andere Unternehmen überlassene Arbeitnehmer auf Basis des sog. Equal-Pay-Lohnes für den Zeitraum vom 1.12.2005 bis 31.12.2009 in Höhe von 48.857,45 EUR verlangt. Die Forderung für die Kalenderjahre 2005 und 2006 betrug 9.315,82 EUR. Die Antragsgegnerin stützt die Nachforderung u.a. auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 14.12.2010 zur Tarifunfähigkeit der Tarifgemeinschaft Christliche Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP).

Über diese Entscheidung informierte die Antragsgegnerin die Antragstellerin mit Schreiben vom 22.12.2010. Darin heißt es auszugsweise:

"Da eine schriftliche Entscheidungsbegründung noch nicht vorliegt, lässt sich derzeit nicht mit letzter Sicherheit sagen, wie die Frage der Rückwirkung dieser Entscheidung auf Beitragsansprüche, die seit Januar 2006 fällig geworden sind, zu beantworten ist. Um Schaden von den Sozialversicherungen abzuwenden, sehen wir uns verpflichtet, hiermit fristwahrend die Ansprüche auf entgangene Sozialversicherungsbeiträge noch im Jahr 2010 geltend zu machen.

Sie sind daher verpflichtet, selbständig unverzüglich zu prüfen, welche Beitrags- und Meldepflichten im Nachgang zu diesem Urteil zu erfüllen sind."

Gegen den Nachforderungsbescheid vom 1.6.2012 legte die Antragsstellerin am 28.6.2012 Widerspruch eingelegt. Sie hat ferner mit Schriftsatz vom 19.7.2012 bei dem Sozialgericht (SG) Duisburg beantragt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anzuordnen, soweit die Antragsgegnerin Nachforderungen für Zeiten vor dem 1.1.2007 geltend macht. Die Beiträge seien insofern verjährt. Die Verlängerung der vierjährigen Regelverjährungsfrist auf 30 Jahre sei nicht eingetreten, denn selbst die schwächste Vorsatzform, der bedingte Vorsatz, sei nicht gegeben gewesen. Die Antragstellerin habe es nicht für möglich gehalten, Beiträge auch rückwirkend für die streitige Zeit zu schulden. Zwar sei sie durch das Schreiben der Antragsgegnerin "vom 28.12.2010" über deren Rechtsauffassung in Kenntnis gesetzt worden. Bereits auf den ersten Blick werde jedoch deutlich, dass die darin zum Ausdruck gebrachte Rechtsauffassung der Antragsgegnerin jedenfalls in dieser Form nicht haltbar sei.

Das SG hat dem Begehren der Antragstellerin mit Beschluss vom 3.8.2012 entsprochen. Zwar bestünden im Rahmen der summarischen Prüfung keine überwiegenden Zweifel daran, dass die von der Antragsgegnerin im streitgegenständlichen Bescheid geforderten weiteren Beiträge auf Grundlage des sog. Equal-Pay-Lohnes entstanden seien. Die vor dem 1.1.2007 entstandenen Beiträge seien jedoch mit überwiegender Wahrscheinlichkeit verjährt.

Gegen den ihr am 8.8.2012 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin am 15.8.2012 Beschwerde eingelegt. Die vor dem 1.1.2007 entstandenen Beitragsansprüche seien nicht verjährt. Denn die Arbeitgeber der Zeitarbeitsbranche hätten ihre ergänzende Zahlungs- und Beitragspflicht spätestens ab dem Zeitpunkt der Verkündung des CGZP-Beschluss des BAG vom 14.10.2010 für möglich gehalten müssen. Außerdem sei die Antragstellerin durch die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 22.12.2010, offensichtlich zugegangen am 28.12.2010, über die Entscheidung des BAG vom 14.10.2010 und die sich hieraus er...

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