Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld. fiktive Bemessung wegen Mutterschutz- und Erziehungszeiten. Erweiterung des Bemessungszeitraums und -rahmens. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

1. Auch wenn der Bemessungszeitraum im erweiterten Bemessungsrahmen (§ 130 Abs 3 SGB 3) durch Erziehungszeiten weniger als 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthält, ist eine Verlängerung, Verschiebung oder Teilung des Bemessungsrahmens wegen Mutterschutz- bzw Erziehungszeiten in Anwendung des § 130 Abs 2 S 1 Nr 3 SGB 3 nicht möglich.

2. Es bestehen auch dann keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegenüber dem Regelungskonzept der fiktiven Bemessung des Arbeitslosengeldes und den Qualifikationsgruppen gem § 132 SGB 3, wenn Mutterschutz- und Erziehungszeiten für die fiktive Bemessung mitursächlich sind.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 25.08.2011; Aktenzeichen B 11 AL 34/10 R)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 24.07.2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

I.

Streitig ist die Höhe des Arbeitslosengeldes (Alg).

Die 1963 geborene Klägerin arbeitete nach dem Abbruch ihres Studiums der Betriebswirtschaftslehre und Politikwissenschaft von 1994 bis 1997 als Leiterin Marketing. Seit 01.01.1998 arbeitete sie als kaufmännische Angestellte im Bereich Marketing und Vertrieb und verdiente 2.658,00 EUR monatlich. Vom 12.03.2000 bis 25.11.2005 war sie wegen der Geburt ihrer beiden Kinder wegen des Beschäftigungsverbotes nach dem Mutterschutzgesetz und sich daran anschließenden Erziehungsurlaubs nicht beschäftigt.

Am 30.09.2005 meldete sich die Klägerin zum 26.11.2005 arbeitslos.

Mit Bescheid vom 09.12.2005 bewilligte die Beklagte Alg ab 26.11.2005 in Höhe von täglich 21,69 EUR. Grundlage der Berechnung war ein tägliches Arbeitsentgelt in Höhe von 64,40 EUR, Lohnsteuerklasse 5 und der erhöhte Leistungssatz von 67 %. Den dagegen von der Klägerin erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 09.02.2006 zurück. Zur Begründung führte sie aus, nach § 132 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III) sei ein fiktives Bemessungsentgelt zugrunde zu legen, wenn im erweiterten Bemessungsrahmen nicht mindestens 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt festgestellt werden könnten. Das letzte Versicherungspflichtverhältnis habe am 25.11.2005 geendet und im erweiterten Bemessungszeitraum von 2 Jahren seien keine versicherungspflichtigen Arbeitsentgelte erzielt worden. Zwar verfüge die Klägerin über keine abgeschlossene Berufsausbildung, im Hinblick auf ihre vorhandenen Kenntnisse und Fähigkeiten habe jedoch eine Zuordnung zur Qualifikationsgruppe 3 vorgenommen werden können.

Am 07.03.2006 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht (SG) Aachen mit dem Hinweis Klage erhoben, die zugrunde gelegte gesetzliche Neuregelung sei umstritten und Gegenstand sozialgerichtlicher Verfahren.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 09.12.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.02.2006 zu verpflichten, an die Klägerin Arbeitslosengeld nach einem höheren Bemessungsentgelt nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat an ihrer in den angefochtenen Bescheiden vertretenen Auffassung festgehalten.

Das SG hat durch Urteil vom 24.07.2006 die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Gegen das am 04.08.2006 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 15.08.2006 Berufung eingelegt, die sie wie zuvor die Klage auf das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29.05.2006 - S 77 AL 961/06 - stützt.

Der Senat geht von dem Antrag der Klägerin aus,

das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 24.07.2006 zu ändern und nach ihrem erstinstanzlichen Klageantrag zu erkennen.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend und weist insbesondere die vom SG Berlin vertretene Ansicht zurück, wonach in § 130 Abs. 2 SGB III das Tatbestandsmerkmal der "Ermittlung" so auszulegen sei, dass der Begriff des "Bemessungszeitraums" den des "Bemessungsrahmens" bestimmt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen. Diese Akte und die die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten lagen bei Beschlussfassung durch den Senat vor.

II.

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig, denn der Klägerin steht kein höheres Alg zu.

Anwendbar ist vorliegend das seit dem 01.01.2005 geltende Bemessungsrecht des SGB III, das auf dem Dritten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2003 (BGBl. I S. 2848) beruht (allgemein dazu Behrend in Eicher/Schlegel, SGB III, vor §§ 129 bis 134 Randnr. 3 ff.). Nach § 129 SGB III beträgt das Alg für Arbeitslose, die mindestens ein Kind haben, 67 % des pauschalie...

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