Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Aufhebung eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse. Anforderungen an die Bestimmtheit eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheides. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommenserzielung. keine Verrechnung zu hoher mit zu niedrigen Erstattungsbeträgen für einzelne Monate. Jahresfrist

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Aufhebungs- und Erstattungsbescheid ist nur dann hinreichend bestimmt i.S.d. § 33 SGB X, wenn aus seinem Verfügungssatz die gewollte Regelung sowie der Adressat bzw. die Adressaten vollständig, klar und unzweideutig zu erkennen sind.

2. Zur Auslegung des Verfügungssatzes kann auf die Begründung des Verwaltungsaktes, auf ihm beigefügte Unterlagen, auf allgemein zugängliche Unterlagen sowie auf früher zwischen den Beteiligten ergangene Verwaltungsakte zurückgegriffen werden.

3. Bei der Prüfung der Bestimmtheit eines Verwaltungsaktes ist nicht allein auf den Ausgangsbescheid abzustellen, sondern auch der hierzu ergangene Widerspruchsbescheid heranzuziehen.

4. Die Jahresfrist nach § 48 Abs 4 Satz 1 i.V.m. § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X gilt nur für den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid, nicht auch für den diesen teilweise abändernden Widerspruchsbescheid.

5. Wird im Geltungsbereich des SGB II in einem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid sowohl der betroffene Leistungszeitraum als auch der Umfang der erfolgten (Teil-)Aufhebung klar und unzweideutig benannt (z.B. durch monatsweise Gegenüberstellung der ursprünglich gewährten Leistungen mit den nach Auffassung der Behörde richtigerweise zu gewährenden Leistungen), stellt sich ein solcher Bescheid auch dann noch als hinreichend bestimmt dar, wenn im Bescheid nicht sämtliche von der Aufhebung betroffenen ursprünglichen Bewilligungs- bzw. Änderungsbescheide konkret und nach ihrem Erlassdatum genannt werden.

6. Ob im Geltungsbereich des SGB II das Fehlen einer monatsweise Aufgliederung der Aufhebungs- und Erstattungsbeträge zur Unbestimmtheit des Bescheides nach §§ 45 oder 48 SGB X führt, konnte offen gelassen werden (vgl. zur diesbezüglichen Rechtsprechung des Senats: Urteil vom 29. Januar 2013 - L 11 AS 1229/09 (Revision zugelassen)).

7. Ist in einzelnen Monaten eine zu weitgehende Leistungsaufhebung erfolgt, ist der Klage insoweit stattzugeben. Eine Verrechnung oder Saldierung der zu hohen Aufhebungs- und Erstattungsbeträge mit Aufhebungs- und Erstattungsbeträgen für andere Monate, in denen die Behörde z.B. aufgrund eines Rechenfehlers zu niedrige Beträge erstattet verlangt, erfolgt nicht.

 

Normenkette

SGB X § 33 Abs. 1, § 31 S. 1, § 45 Abs. 4 S. 2, § 48 Abs. 4 Sätze 1, 2 Nr. 3, § 50 Abs. 1 S. 1; SGB II § 7 Abs. 3, § 40 Abs. 2 Nr. 3; SGB II a.F. § 6 Abs. 1 Nr. 1, § 11 Abs. 2 S. 2, § 30 Sätze 1-3, § 40 Abs. 1 S. 2 Nr. 1; SGB III § 330 Abs. 3 S. 1; SGG §§ 95, 193 Abs. 1 S. 1

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 9. November 2009 wird wie folgt geändert:

Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 22. Mai 2008 sowie der Änderungsbescheid vom 22. Mai 2008 (jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. April 2009) werden aufgehoben, soweit der Leistungsbetrag für den Monat April 2008 auf weniger als 151,41 Euro herabgesetzt und soweit für die Zeit von Januar bis April 2008 ein höherer Erstattungsbetrag als 616,50 Euro gefordert worden ist.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Der Beklagte erstattet der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge in vollem Umfang.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin wehrt sich gegen eine teilweise Aufhebung der Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) für die Zeit von Januar bis April 2008 sowie gegen eine hieraus resultierende Erstattungsforderung in Höhe von 699,40 Euro.

Die 1966 geborene Klägerin bezog zusammen mit ihrer 1992 geborenen Tochter u.a. in der Zeit von Januar bis April 2008 vom Beklagten Leistungen nach dem SGB II, da sie aus ihrem Erwerbseinkommen als Altenpflegerin den Familienunterhalt nicht bestreiten konnte. Zunächst bewilligte der Beklagte der Klägerin für die Zeit von Januar bis April 2008 SGB II-Leistungen in Höhe von 344,92 Euro pro Monat (bestandskräftiger Bescheid vom 10. Januar 2008, mit dem der am vorliegenden Verfahren nicht beteiligten Tochter der Klägerin weitere 186,61 Euro pro Monat gewährt wurden). Nachdem die Klägerin ihre Gehaltsabrechnungen für die Monate Januar bis März 2008 vorgelegt hatte, setzte der Beklagte die SGB II-Leistungen für Januar und Februar 2008 auf 151,41 Euro und für März 2008 auf 68,51 Euro pro Monat herab. Der Leistungsbetrag für April 2008 blieb dagegen mit 344,92 Euro unverändert (vgl. zu den Einzelheiten der Berechnung sowie zu den der Tochter der Klägerin gewährten Leistungen: Bestandskräftiger Änderungsbescheid vom 2. April 2008). In diesem Bescheid wurde die Klägerin darauf hingewiesen, dass der vorangegangene Lei...

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