Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Unfallversicherungsschutz. Teilnehmer eines freiwilligen sozialen Jahres (FSJ). Einführungsseminar zum FSJ. Arbeitsunfall. sachlicher Zusammenhang. Handlungstendenz. private Freizeitgestaltung. Benutzung eines Hüpfkissens. keine Vergleichbarkeit: Unfallversicherungsschutz von Schülern während der Klassenfahrt gem § 2 Abs 1 Nr Buchst b SGB 7. gruppentypisches Verhalten. Spieltrieb

 

Leitsatz (amtlich)

Teilnehmer eines freiwilligen sozialen Jahres (FSJ) sind als Beschäftigte unfallversichert. Der Versicherungsschutz umfasst aber keine spielerischen Freizeitaktivitäten am Rande eines Einführungsseminars zum FSJ.

 

Orientierungssatz

Der Ausweitung des Versicherungsschutzes auf spielerische Freizeittätigkeiten wie auf einer Klassenfahrt steht entgegen, dass der insoweit einschlägige Versicherungsschutz von Schülern nach § 2 Abs 1 Nr 8 Buchst b SGB 7 weiter geht als der der hier vorliegenden Beschäftigtenversicherung nach § 2 Abs 1 Nr 1 SGB 7.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 06.10.2020; Aktenzeichen B 2 U 13/19 R)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 17. Januar 2017 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Anerkennung eines Arbeitsunfalls.

Die im November 1998 geborene Klägerin begann nach dem Abschluss der 10. Klasse der Realschule am 1. September 2015 ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ), dessen Grundlage ein Vertrag war, den sie mit der X. gGmbH für Bildung und soziale Dienste, vertreten durch den E. (im Folgenden: IB) am 3. September 2015 geschlossen hatte (FSJ-Vertrag). Einsatzstelle war das Alten- und Pflegeheim der Inneren Mission in F..

In der zweiten Septemberwoche 2015 begann sie ein einwöchiges Einführungsseminar, das im FSJ-Vertrag vorgesehen war, in der Bildungs- und Ferienstätte G. (Träger: Katholische H. G. eV) in I. (Landkreis G.) stattfand und von Mitarbeitern des IB betreut wurde. Dabei wurde das Seminarprogramm täglich von 9.00 Uhr bis 18.00 Uhr durchgeführt. Die sich anschließende Freizeit stand den Teilnehmern zur freien Verfügung. Einzelne Betreuer boten hierfür Aktivitäten an (Lagerfeuer, Spiele ua), die Teilnahme hieran war aber freiwillig. Wer das Gelände der Bildungsstätte verlassen wollte, musste sich abmelden; die minderjährigen Teilnehmer mussten sich hierzu in Gruppen von mindestens drei Personen zusammentun und um 22.00 Uhr wieder zurück sein.

Am 8. September 2015 wollte sich die Klägerin etwa gegen 20.00 Uhr mit weiteren Teilnehmern ihres Seminars zu einem Karten- bzw Rollenspiel in ein anderes Haus der Einrichtung begeben, als die Gruppe unterwegs auf ein 11,20 x 9 m großes aufgeblasenes Hüpfkissen stieß und begann, darauf herumzuhüpfen. Man vereinbarte schließlich, dass sich die Klägerin in die eine Hälfte des Kissens setzen sollte, während acht Teilnehmer gleichzeitig auf die andere Hälfte springen sollten, um die Klägerin in die Luft zu katapultieren. Dieses Vorhaben wurde umgesetzt, die Klägerin flog hoch, landete aber nicht wie vorgesehen wieder auf dem Kissen, sondern auf der aus einer Sand-Kies-Gemisch bestehenden Umrandung. Dabei zog sie sich Deckplatteneinbrüche verschiedener Wirbelkörper der Brust- und Lendenwirbelsäule und eine Impressionsfraktur des ersten Lendenwirbelkörpers zu (Bericht des Durchgangsarztes Dr. J. vom 21. September 2015).

Mit Bescheid vom 14. März 2016 lehnte es die Beklagte ab, das Ereignis vom 8. September 2015 als Arbeitsunfall anzuerkennen. Zur Begründung wies sie darauf hin, dass die zum Unfallzeitpunkt ausgeübte Tätigkeit auf dem Sprungkissen dem privaten Lebensbereich der Klägerin zuzurechnen sei.

Zur Begründung ihres hiergegen gerichteten Widerspruchs wies die Klägerin darauf hin, dass die Seminarteilnehmer in I. praktisch kaserniert gewesen seien und deshalb von einer freien Freizeitgestaltung nicht gesprochen werden könne. Vor diesem Hintergrund habe man die Nutzung des Sprungkissens angeboten, um im Rahmen der Bildungsmaßnahme für einen angemessenen Ausgleich zu sorgen, allerdings ohne eine Beaufsichtigung durch den Bildungsträger zu gewährleisten. Angesichts der Unterbringung der Jugendlichen auf dem Seminargelände sei ein Arbeitsunfall zu bejahen.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27. Juni 2016 zurück.

Die Klägerin hat hiergegen am 4. Juli 2016 Klage zum Sozialgericht (SG) Hildesheim erhoben, mit der sie an ihrem Ziel der Anerkennung eines Arbeitsunfalls festgehalten hat.

Mit Urteil vom 17. Januar 2017 hat das SG den Bescheid vom 14. März 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 2016 aufgehoben und festgestellt, dass das Ereignis vom 8. September 2015 ein Arbeitsunfall ist. Freizeitverrichtungen bei Klassenfahrten, Schul- oder Berufsschulausflügen oder bei auswärtigen Wehrdienstveranstaltungen, die außerhalb des erlaubten Rahmens erfolgt seien, seien nach der Rechtsprechung zwar reg...

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