Entscheidungsstichwort (Thema)

Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status. Lehrkraft in einer Volkshochschule. abhängige Beschäftigung. selbstständige Tätigkeit. Neuausrichtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung. keine Berücksichtigung für zurückliegende Zeiträume

 

Leitsatz (amtlich)

Angesichts der Schutzwürdigkeit des Vertrauens in die bisherige langjährige höchstrichterliche Rechtsprechung zur sozialrechtlichen Statusbeurteilung bei Lehrkräften ist deren vom BSG mit Urteil vom 28.6.2022 - B 12 R 3/20 R = SozR 4-2400 § 7 Nr 65 - intendierte Neuausrichtung für zurückliegende Zeiträume noch nicht zu berücksichtigen.

 

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der nicht erstattungsfähigen Kosten des Beigeladenen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über den sozialversicherungspflichtigen Status des beigeladenen Lehrers, der bei der klagenden Volkshochschule als Dozent für Politik und Wirtschaft eingesetzt worden ist. Mit ihrer Berufung wendet sich die Beklagte gegen die vom Sozialgericht mit dem angefochtenen Urteil vorgenommene Aufhebung ihres Bescheides, mit dem sie ein abhängiges und der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung unterliegendes Beschäftigungsverhältnis zwischen der Klägerin und dem Beigeladenen festgestellt hat.

Die in der Rechtsform einer gGmbH geführte Klägerin nimmt die Aufgaben einer Volkshochschule wahr. Gesellschafter sind Stadt und Landkreis M. (vgl. auch https://vhs-goettingen.de/ueber-uns/leitbild).

Für die Wahrnehmung der vielfältigen Unterrichtsaufgaben setzt die Klägerin neben sechs festangestellten Lehrern und Lehrerinnen ganz überwiegend Honorarkräfte ein, welche nach ihrem Verständnis im Rahmen einer rechtlichen selbständigen Tätigkeit im Namen und Auftrag der Klägerin Kurse durchführen.

U.a. bietet die Klägerin Kurse (sog. „Realschule - MAKS Kurse“ - MAKS steht für „Motivation, Aktion, Kompetenzen, Stabilisierung“, vgl. auch die Erläuterungen der Klägerin, Bl. 42 VV) zur Vorbereitung auf die Erlangung eines Realschulabschlusses auf dem zweiten Bildungsweg an.

Im Wintersemester 2017/18 studierte der Beigeladene, welcher von 2003 bis 2010 bereits Sozialwissenschaften studiert hatte, im 16. Fachsemester Rechtswissenschaft und im 3. Fachsemester Politikwissenschaft (vgl. die Immatrikulationsbescheinigung der Georg-August-Universität M. vom 8. Januar 2018, Bl. 13 VV).

Am 15. September 2017 vereinbarte die Klägerin mit dem Beigeladenen in Bestätigung vorher bereits mündlich getroffener Absprachen schriftlich (vgl. wegen der weiteren Einzelheiten Bl. 6 ff. VV), dass dieser im Zeitraum 7. August 2017 bis 22. Juni 2018 im Rahmen des sog. MAKS-Kurses 104 Stunden im Fach Wirtschaft und 110 Stunden im Fach Politik zu einem Stundenhonorar von jeweils 22,50 € unterrichten sollte. Eine gesonderte weitere Vereinbarung betraf die Lehre in einem Kurs „Fachkraft InsA“ (d.h. Fachkraft für interkulturelle und soziale Arbeit, vgl. dazu auch die Erläuterungen im Schreiben des Beigeladenen, Bl. 62 VV) im September 2017 mit einem Zeitaufwand von 12 jeweils mit 25 € zu honorierenden Unterrichtsstunden (Bl. 9 VV).

Die entsprechenden Unterrichtsverträge verwiesen jeweils auf die vorformulierten Allgemeinen Vertragsbedingungen der Klägerin (vgl. Bl. 27 VV). Diese enthielten insbesondere folgende Regelungen:

Die Inhalte und die methodisch-didaktische Durchführung des Lehrauftrages sowie Unterrichtszeiten und Unterrichtsort haben der individuellen Vereinbarung zwischen der Dozentin/dem Dozenten und der Fachbereichsleitung/Geschäftsstellenleitung zu entsprechen. Innerhalb dieser Absprache liegen die methodisch-didaktische Durchführung und der Inhalt im Einzelnen bei der Dozentin/dem Dozenten. Die Unterrichtszeiten und der Unterrichtsort unterliegen, soweit organisatorisch möglich, der freien Vereinbarung. Ein Weisungsrecht der VHS gegenüber der Dozentin/dem Dozenten besteht nicht. Die Dozentin/der Dozent ist im Übrigen frei, die Unterrichtsinhalte und den Unterrichtsverlauf selbst zu gestalten, soweit dies dem vorher mit der Dozentin/dem Dozenten vereinbarten Unterrichtsinhalt und der Ausschreibung der VHS entspricht…

Die Dozentin/der Dozent wird die Unterrichtsinhalte und den Unterrichtsverlauf in Stichworten in der Kursliste vermerken, welche Gegenstand der Abrechnung mit der Dozentin/dem Dozenten ist. Der Lehrauftrag beinhaltet die Aufgabe der Dozentin/des Dozenten, eine Evaluation ihres Unterrichts während bzw. am Ende der Veranstaltung vorzunehmen. Evaluationsformulare werden zur Verfügung gestellt…

Die erbrachten Unterrichtsleistungen stellte der Beigeladene der Klägerin jeweils monatlich in Rechnung (vgl. etwa Abrechnung vom 26. September 2017, Bl. 30 VV, über 24 Unterrichtsstunden zu jeweils 22,50 €, entsprechend 540 €, zuzüglich einer zweistündigen Teilnahme an einer Fachkonferenz des Bereichs Politik und Wirtschaft, welche mit 10,30 € je Stunden abgerechnet und honoriert worden ist. Die Teilnahme an...

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