Entscheidungsstichwort (Thema)

Elterngeld. Erkrankung des Elterngeldberechtigten während der Partnerschaftsbonusmonate. Arbeitszeitkorridor. Mindestarbeitszeit. Elterngeldanspruch auch für Zeiten vorübergehender Arbeitsunfähigkeit ohne Entgeltfortzahlung. Wille des Gesetzgebers. Zweck der partnerschaftlichen Aufgabenteilung. Gefährdung der Akzeptanz durch übermäßige Risiken für Elterngeldbezieher. keine Anwendung der Regelungen der BEEG-Richtlinien. Verfassungsrecht. Gleichheit. Diskriminierung wegen einer Behinderung. verfassungskonforme Auslegung

 

Leitsatz (amtlich)

Vorübergehende Zeiten der Arbeitsunfähigkeit stehen einer Inanspruchnahme der elterngeldrechtlichen Partnerschaftsbonusmonate nicht entgegen.

 

Orientierungssatz

1. Der um die Mitwirkung an einer partnerschaftlichen Arbeitsteilung werbende Ansatz des Gesetzgebers spricht im Ausgangspunkt dafür, dass diesem an einer sachgerechten Begrenzung der Risiken für die betroffenen Eltern gelegen war. Übermäßige Risiken (hier: durch Erkrankungen im Bezugszeitraum) wären geeignet, die Akzeptanz der Regelungspläne unter den betroffenen Eltern zu gefährden.

2. Solange die Erkrankung nicht so schwer (etwa infolge einer stationären Aufnahme) ausgeprägt ist, dass der betroffene Elternteil gänzlich an einer Mitwirkung an der Kinderbetreuung gehindert ist, führt sie regelmäßig nicht zu einer Aufgabe des Willens zur partnerschaftlichen Aufgabenteilung.

3. Soweit die BEEG-Richtlinien für das aktuelle Recht das Vorliegen einer "Erwerbstätigkeit" iS des § 4b Abs 1 Nr 1 BEEG von einem Anspruch auf Entgeltfortzahlung abhängig machen, sind diese nicht anzuwenden, weil sie zu sach- und gleichheitswidrigen Ergebnissen für betroffene Eltern führen.

4. Da viele Behinderungen mit einem erhöhten Risiko von Arbeitsunfähigkeitszeiten verbunden sind, spricht vor dem Hintergrund des Art 3 Abs 3 S 2 GG auch eine verfassungskonforme Auslegung für eine Auslegung der elternrechtlichen Vorgaben iS dieses Ergebnisses.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 07.09.2023; Aktenzeichen B 10 EG 2/22 R)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts vom 18. Februar 2022 und der Bescheid der Beklagten vom 11. Juni 2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheides der Region Hannover vom 31. Januar 2019 aufgehoben.

Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers aus beiden Rechtszügen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Zurückforderung des ihm zunächst im Rahmen der sog. Partnerschaftsbonusmonate auf der Basis einer vorläufigen Bewilligung gewährten Elterngeldes für den Zeitraum vom 28. Februar bis zum 27. Juni 2017.

Mit Bescheid vom 11. Juli 2016 bewilligte die Beklagte dem Kläger für den 7. und 12. Lebensmonat seines am 28. Januar 2016 geborenen Sohnes I. Basiselterngeld.

Für den 14. bis 17. Lebensmonat beantragten beide Eltern Elterngeld im Rahmen der sog. Partnerschaftsbonusmonate entsprechend den damaligen Vorgaben des § 4 Abs. 4 BEEG (heute: § 4b BEEG). Die Mutter hatte zuvor für den 1. bis 12. Lebensmonat Basiselterngeld erhalten.

Der Kläger vereinbarte mit seinem Arbeitgeber, dass er in diesem Zeitraum, d.h. im Zeitraum 28. Februar bis 27. Juni 2017, seine zuvor (abgesehen vom 7. und 12. Lebensmonat des Sohnes, während derer der Kläger Elternzeit in Anspruch genommen hatte) vollzeitig ausgeübte berufliche Tätigkeit nur in einem Umfang von 30 Wochenstunden mit einem darauf entfallenden Bruttogehalt von monatlich 1.200 € ausüben werde. Daraufhin bewilligte ihm die Beklagte mit Bescheid vom 27. Dezember 2016 für diese vier Monate Elterngeld in Höhe von monatlich 160,77 €. Die Bewilligung wurde vorläufig ausgesprochen, da die Erwerbseinkünfte des Klägers im Leistungszeitraum im Bewilligungszeitpunkt noch nicht endgültig festgestellt werden konnten.

Entsprechend den geänderten arbeitsvertraglichen Vereinbarungen arbeitete der Kläger ab dem 28. Februar 2017 nur noch mit wöchentlich 30 Stunden. Allerdings erkrankte der Kläger am 8. März 2017; die Arbeitsunfähigkeit erstreckte sich bis zum 26. Juni 2017. Während dieser Arbeitsunfähigkeit befand sich der Kläger vom 19. bis 22. Mai 2017 in stationärer Behandlung in der J. aufgrund eines Innenmeniskus-Hinterhorn-Komplexschadens.

Für die ersten sechs Wochen der Arbeitsunfähigkeit erhielt er sein Entgelt von Seiten seines Arbeitgebers fortgezahlt (vgl. die Gehaltsabrechnung für den Monat März 2017 über 1.200 € zuzüglich 60 € Verpflegungszuschuss sowie die - eine Krankheit ohne Entgeltfortzahlung für den Zeitraum 19. bis 30. April 2017 ausweisende - Gehaltsabrechnung für April 2017 über 720 €); für den Zeitraum vom 19. April bis 26. Juni 2017 gewährte ihm die Krankenkasse Krankengeld in Höhe von insgesamt 1.671,84 € netto.

Mit Bescheid vom 11. Juni 2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheides der Region K. vom 31. Januar 2019 wurde daraufhin das dem Kläger zuvor zugesprochene Elterngeld für den 14. bis 17. Lebensmonat des Sohnes in Höhe von insgesamt 643,08 € zurückgefordert. Zur Begründung ...

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