Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch des behinderten Kindes auf Zweitversorgung mit einer individuell angepassten Kunststoffsitzschale

 

Orientierungssatz

1. Bei der Verordnung mit Hilfsmitteln sind die Grundsätze der Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit gemäß § 12 SGB 5 zu beachten. Eine Mehrfachausstattung mit Hilfsmitteln hat dann zu erfolgen, wenn nur auf diese Weise ein Behinderungsausgleich i. S. von § 33 Abs. 1 S. 1 SGB 5 möglich ist.

2. Leidet ein Kind an einer spastischen Tetraparese, einer Hüftdysplasie und einem cerebralen Anfallsleiden und kann es ohne Sitzschale nicht bewegt werden, so ist sowohl aus medizinischen als auch aus sicherheitstechnischen Gründen eine Zweitversorgung notwendig, weil weder im Bereich der Wohnung noch außerhalb sichergestellt werden kann, dass stets eine Beaufsichtigung des Kindes in den Zeiten des Ummontierens der Sitzschale gewährleistet ist.

3. Dies hat zur Folge, dass die Krankenkasse zur Gewährung einer Zweitversorgung mit einer Kunststoffschale verpflichtet ist.

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 4. September 2014 aufgehoben und festgestellt, dass der Bescheid vom 22. Dezember 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. November 2010, mit dem die Beklagte die Zweitversorgung mit einer individuell angepassten Kunststoffsitzschale abgelehnt hat, rechtswidrig ist.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin beider Instanzen zu zahlen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Gewährung einer Zweitversorgung mit einer Kunststoffsitzschale.

Die 2004 geborene Klägerin ist bei der beklagten Krankenkasse gesetzlich krankenversichert. Von Geburt an leidet sie u.a. unter einer spastischen Tetraparese, einer Hüftdysplasie rechts und einem cerebralen Anfallsleiden (vgl. ärztliche Bescheinigung K. Klinik L. vom 14. Januar 2010). Im Dezember 2009 erfolgte bei der Klägerin eine Knochen- und Weichteiloperation. Mit ärztlicher Verordnung der K. Klinik L. vom 10. Dezember 2009 wurde der Klägerin im Rahmen einer postoperativen Erstversorgung eine Kunststoffsitzschale nach Gipsabdruck verordnet. Unter dem 22. Dezember 2009 erteilte die Beklagte eine Kostenzusage gemäß Kostenvoranschlag der Firma M. GmbH Rehatechnik. Ebenfalls mit Verordnung der o.a. Klinik vom 10. Dezember 2009 wurde der Antragstellerin eine Zweitversorgung mit einer Kunststoffsitzschale verordnet (“Duplikat„). Die Notwendigkeit der Mehrfachversorgung wurde mit der Ermöglichung des Transportes zu Arztbesuchen und zur Therapie begründet. Nach einem weiteren Kostenvoranschlag der Firma M. GmbH Rehatechnik vom 15. Dezember 2009 belaufen sich die Kosten für die Zweitversorgung, für die kein Gipsabdruck anzufertigen sei, auf 3.535,59 Euro.

Mit Bescheid vom 22. Dezember 2009 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für eine Zweitversorgung ab. Bereits im Dezember 2009 sei dieses Hilfsmittel in ähnlicher oder gleicher Versorgung übernommen worden. Gründe für eine Mehrfachversorgung seien nicht bekannt; eine erneute Übernahme scheide aus.

Am 11. Februar 2010 richtete sich die Mutter der Klägerin gegen diese Entscheidung. Zur Begründung für zwei Sitzschalen machte sie geltend, dass eine für die Bewegungen innerhalb des Hauses und eine für die Bewegungen außerhalb des Hauses benötigt würden. Ohne eine solche Sitzschale könne das Kind nicht bewegt werden. Die vorhandene Sitzschale könne nicht regelmäßig von dem Rollstuhl für die Bewegung im Haus und von dem Fahrrad für die Bewegung außerhalb des Hauses auf ein anderes Gestell ummontiert werden. Dies sei bereits faktisch nicht möglich, denn das Kind könne in der Zwischenzeit nicht abgelegt werden.

Der im Rahmen des Widerspruchsverfahrens beauftragte technische Hilfsmittelberater O. N. kam in seiner Stellungnahme vom 8. März 2010 zu dem Ergebnis, dass die Klägerin bereits mit einer Sitzschale versorgt sei, die per Wechselvorrichtung auf einem Zimmergestell im Kindergarten, auf dem Rehakinderwagen sowie auf einem Zimmergestell im häuslichen Bereich genutzt werden könne. Im Kindergarten könne die Sitzschale von der Rehakarre ohne Probleme auf das Zimmergestell montiert werden, da dort mehrere Betreuungspersonen vorhanden seien. Im häuslichen Bereich könne der Vater die Klägerin in der Sitzschale tragend umsetzen, der Mutter gelinge dies nicht. Eine Zwischenlagerung könne zurzeit nur auf dem Boden oder auf dem Sofa erfolgen, dann müsse die Sitzschale aus dem Kellerbereich des Hauses, in dem die Rehakarre abgestellt werde, in das Hochparterre, in dem sich die Wohnung der klägerischen Familie befinde, getragen und dort montiert werden. Der Zeitaufwand hierfür betrage zwei Minuten. Eine Lagerung in einem Kinderpflegebett würde eine ausreichend sichere Lagerung ermöglichen, dann wäre eine Zweitversorgung definitiv nicht begründet.

Mit Schreiben vom 8. März 2010 erläuterte die Beklagte erneut unter Berücksichtigung der Begutacht...

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