Rechtskraft: ja

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Hilfsmittel. Hörhilfe. Hörgerät. Festbetrag. Festbetragsregelung. Sachleistungsprinzip

 

Leitsatz (amtlich)

1. Für die Versorgung mit Hörhilfen gilt in der gesetzlichen Krankenversicherung das Sachleistungsprinzip (Anschluss an BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2002 – 1 BvL 28/95, 29/95 und 30/95).

2. Ist eine bestimmte Hörhilfe notwendig, so hat die Krankenkasse diese Hörhilfe in vollem Umfang und ohne Eigenleistung der Versicherten zu gewähren (Anschluss an BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2002 – 1 BvL 28/95, 29/95, 30/95).

3. Hat eine gesetzliche Krankenkasse den Anspruch auf Versorgung mit einer notwendigen Hörhilfe zu Unrecht abgelehnt und hat sich die Versicherte das Hörgerät selbst beschafft, so muss sie sich nicht mit einer Teilkostenerstattung zufrieden geben.

 

Normenkette

SGB V § 33 Abs. 1, § 36 Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

SG Oldenburg (Entscheidung vom 05.06.2003; Aktenzeichen S 62 KR 263/02)

 

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin auch aus dem Berufungsverfahren zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Rechtsstreit betrifft Versorgung mit einem Hörgerät.

Die im Februar 1983 geborene Klägerin legte nach den Angaben des Landesbildungszentrums für Hörgeschädigte Oldenburg vom 28. März 2001 in der Einrichtung im Juli 2000 den Erweiterten Realschulabschluss ab und verließ sie mit diesem Abschluss, der sie zum Besuch einer Gymnasialen Oberstufe berechtigte. Da es eine Gymnasiale Oberstufe speziell für Hörgeschädigte nicht gab, besuchte die Klägerin seit August 2000 das Gymnasium für Ernährung und Hauswirtschaft in den Berufsbildenden Schulen Jever.

Die Firma C. GmbH Hörgeräte-Akustik teilte der Beklagten im April 2001 mit, dass die Klägerin erstmals 1997 eine IdO-(In-dem-Ohr) Versorgung erhalten habe. Durch die tägliche Tragezeit von etwa 17 Stunden seien die Geräte einer großen Belastung ausgesetzt und daher frühzeitig verbraucht. Seit dem Besuch der neuen Schule in Jever habe sich herausgestellt, dass die Versorgung mit den alten IdO-Geräten nicht mehr ausreichend sei. Der Leiter des Landesberufszentrums für Hörgeschädigte und die HNO-Ärztin Dr. D. hätten daher eine Neuversorgung der Klägerin mit einem erweiterten Hörsystem vorgeschlagen. Es sei ein Anpassversuch mit dem leistungsstarken HdO-Gerät Phonak Claro 211 dAZ erfolgt. Damit die Klägerin die unterrichtende Lehrkraft jedoch optimal habe verstehen können, sei die zusätzliche Versorgung mit einer Mikro-Port-Anlage erforderlich gewesen. Der Kostenvoranschlag der Firma C. belief sich auf 14.080,00 DM (= 7.198,99 EUR).

In seiner für den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Niedersachsen (MDKN) gefertigten gutachtlichen Stellungnahme vom 2. August 2001 erläuterte Dr. E., dass bei der Klägerin eine beidseitige mittelgradige Schallempfindungs-Schwerhörigkeit bestehe. Das von dem Hörgeräte-Akustiker vorgeschlagene Funkkommunikationssystem Mikro-Link könne empfohlen werden. Die Phonak Claro 211 dAZ-Hörgeräte seien der Festbetragsgruppe III zuzuordnen. Es handele sich dabei um ein 20-kanaliges Hinter-dem-Ohr (HdO) Gerät mit digitaler Signalverarbeitung. Mit den Hörhilfen werde ein ausreichender Hörgewinn dokumentiert. Auch die vorzeitige Neuversorgung sei unter Berücksichtigung der Angaben des Hörgeräte-Akustikers nachzuvollziehen. Dagegen fehle es an der Erforderlichkeit der mitbeantragten Fernbedienung.

Mit Bescheid vom 10. August 2001, der mit einer Rechtsmittelbelehrung nicht versehen war, teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie für die Versorgung mit Hörgeräten einen Betrag von 8.380,– DM bewillige. Wegen der Mehrkosten könne sich die Klägerin an den Sozialhilfeträger, den Rentenversicherungsträger oder die Hauptfürsorgestelle wenden.

Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin am 17. Oktober 2001 Widerspruch und wies darauf hin, dass die von der Beklagten benannten Kostenträger für sie nicht zuständig seien. Die Verordnung der neuen Hörgeräte sei zu einem Zeitpunkt erfolgt, als die Klägerin noch minderjährig gewesen sei. Es müsse vor diesem Hintergrund verwundern, wenn ein Eigenanteil von 5.700,– DM zugemutet werde.

Auf weitere Einwände bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 17. Oktober 2002 einen weiteren Betrag von 500,– DM. Im Übrigen wies sie den Widerspruch der Klägerin mit Bescheid vom 21. November 2002 zurück. Für die Versorgung mit Hörhilfen habe der Gesetzgeber Festbetragsregelungen eingeführt. Das medizinisch für erforderlich gehaltene Hörgerät sei der Festbetragsgruppe III zuzuordnen. Sie könne deshalb auch nur den für diese Festbetragsgruppe geltenden Betrag bewilligen. Darüber hinaus sei kein Anspruch des Versicherten gegeben.

Mit ihrer am 29. November 2002 rechtzeitig erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, dass die zum Festbetrag zu erhaltenden Geräte für ihre Hörminderung nicht ausreichend seien. Deshalb sei die Beklagte auch verpflichtet, die Kosten des für sie einzig in Betracht kommenden Gerätes vollständig zu übernehmen. Die...

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